Das gruene Gewissen
nichts mit kurzen Transportwegen zum Verbraucher zu tun haben. Von der tatsächlich ortsnahen und saisonalen Versorgung haben wir uns grundsätzlich verabschiedet – auch „Bio“ agiert mittlerweile global und sorgt dafür, dass der Kunde das, was er haben möchte, auch bekommt. Denn im Grunde ist es egal, wo nach Ökostandards produziert wird. Und letztlich verschwimmen selbst die Ansprüche einer nachhaltigen Produktion: Denn die großen Biobetriebe stehen vor ähnlichen Problemen wie die großen konventionellen. Solange Rohstofftransporte auf immer größer werdenden Containerschiffen im Stile der Emma Maersk -Klassegut bezahlbar sind, wird man Erze und Steinkohle aus anderen Teilen der Welt zu uns bringen, wo sie die Hälfte kosten, anstatt vor der eigenen Haustür zu graben. Unter Kostengesichtspunkten ist die Schifffahrt konkurrenzlos.
Nicht anders ist es bei Äpfeln. Es ist derselbe Anspruch auf Mobilität, den wir auch sonst in einer globalen und von hartem Wettkampf geprägten Ökonomie stellen. Auch die Generation Landlust lebt in einer globalisierten Welt.
Kinder und ihre Eltern
Das Beispiel des jungen amerikanischen Erfolgsautors Jonathan Safran Foer, der die Geburt seines Sohnes als Grund für sein Buch Tiere essen nennt, macht es vor: Es ist kein Zufall, dass junge Eltern zu strikten Standpunkten neigen. Denn es ist häufig das erste Mal, dass sie sich und anderen klare Regeln zu geben versuchen, etwas artikulieren, was sie schon länger umtreibt, sie nicht mehr nur irgendwie, sondern bewusst durch das Leben gehen mögen. In keinem anderen Abschnitt des Lebens trifft der Wunsch nach Fürsorge so häufig auf die Verheißungen der Natur wie bei den eigenen Kindern, deren Ernährung, Kleidung, Bildung. Was man an sich selbst mit dem Hinweis auf mangelnde Zeit oder schlichtweg Routine bis hin zur körperlichen Verwahrlosung durchgehen lässt, verpasste Zahnarztbesuche oder Vorsorgeuntersuchungen, Junkfood und Dosencola, nähme man bei den eigenen Kindern nicht im Traum hin.
Die Kombination aus Natursehnsucht und Schutzbedürfnis scheint wie gemacht für eine Zeit, die ein Misstrauen gegenüber dem großtechnischen Komplex in sich trägt und dadurch besonders anfällig ist für Projektionen. Das Aus-dem-Boden-Schießen neuer Elternhefte und Magazine im Stil von Landlust oder Daheim in Deutschland oder die Kombination aus beidem zeigt, dass es bei Eltern ein Bedürfnis nach mehr Natürlichkeit, vielleicht auch nach einer „guten alten Zeit“ gibt. Vielleicht, weil keineGroßfamilien mehr existieren. Oder weil wir eine Gesellschaft geworden sind, in der Eltern immer später Kinder bekommen und dann umso militanter zum Perfektionismus und dem Ausschließen von Fehlern neigen.
So hat das Berliner Stadtmagazin zitty immer wieder Beilagen mit Überschriften im Geiste von „Draußen mit Kindern“, in denen Themen wie Stockbrot-Braten oder die Frage verhandelt werden, wie man eine Angel oder einen Flitzebogen baut. Man kultiviert nicht nur das Selbstverständliche, sondern gibt den Eltern konkrete Ratschläge an die Hand. Anscheinend sind diese Dinge alles andere als normal, weswegen sie das Zeug zum Happening haben.
Als ich in Ehingen war, musste ich an einen Werbespot der Firma Danone für „Fruchtzwerge“ aus den achtziger Jahren denken. Er ist vielleicht bekannter als der Text unserer Nationalhymne und lautete, dass ein einziger Zwerg „so wertvoll wie ein kleines Steak“ sei – eine ungewollte Anspielung auf den hohen Eiweißanteil. Wer würde heute für ein Nahrungsmittel für Kinder mit dem Vergleich werben, dass dieses so gut sei wie ein Stück Fleisch zum Braten?
In einer Kita im Berliner Stadtteil Schöneberg haben die Eltern darüber abgestimmt, dass die Kinder keinen Geburtstagskuchen mit Zuckerguss und Smarties mehr mitbringen dürfen. Es war ein richtiges Thema. Das Schlemmen der Süßwaren hatte anscheinend überhandgenommen. Um die traurigen Kinder wieder zu versöhnen, werden selbst Kuchen gebacken: aus Bio-Teig. Man will aber bewusst weg von weißem Getreide und nimmt nun Hirse, das Hauptgetreide der Dritten Welt, manchmal auch Dinkel, Roggen oder Amarant. Damit die Kinder den ungesüßten Teig auch essen, wird löffelweise Honig hinzugegeben, denn der ist ja irgendwie natürlich und kein Einfachzucker aus Rüben oder Rohr, oder auch Bio-Agaven-Dicksaft. – Man könnte ihnen auch ein Leberwurstbrot zum Frühstück geben und führe damit ernährungsphysiologisch besser.
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