Das gruene Gewissen
in mir aus historischen Gründen Widerstand erzeugt, weil er die Assoziation hemmungslos aufs Plansoll getrimmter Agro-Betriebe der DDR weckt, deren Düngepraxis Jahr für Jahr zur Eutrophierung und auch zum Umkippen unseres Sees führte – noch ein freundliches „Organic Food“. Dort gibt es auch laktosefreie Milch für die Latte macchiato, auch wenn Milch ohne Milchzucker, sprich: den Kohlenhydratanteil, in der Natur unnatürlich ist und erst durch einen chemischen Trick entsteht. Den Laktoseintoleranten zumindest freut es.
Auch drinnen begegnet man sehr schnell denselben Vertriebsmechanismen wie in konventionellen Supermärkten, was die Kunden nicht zu stören scheint. „Über 18000 Bio-Produkte“ werden nach Angaben der „LPG“ für die Kunden in den nur sechs Berliner Filialen bereitgehalten. „Auch die Getränkeauswahl (allein über 250 Sorten Bio-Weine) ist riesig und braucht sich hinter der eines Getränkemarktes nicht zu verstecken.“ 99 Der Strom für die „LPG“ ist natürlich Ökostrom und kommt von Greenpeace Energy; auch nachts, wenn die Sonne nicht scheint, um die Kühlschränke und Sicherheitsanlagen zu betreiben.
Ist dieses umfassende Angebot der Maßstab? War nicht gerade dies das Ziel: Größe, Zentralität, Überfluss zu vermeiden und saisonal und regional zu vermarkten?
Man kann in der „LPG“ deshalb auch im Frühsommer Bio-Birnen kaufen, obwohl man in Deutschland nach allem, was ich weiß, in dieser Zeit noch keine Birnen ernten kann. Es sind Früchte aus Patagonien. Der Verkäufer stutzt bei der Frage, wo die Nachhaltigkeit bleibe, denn schließlich seien doch auch diese Birnen aus biologischem Anbau. Und er hat recht, denn in der Tat können Schiffstransporte mit hohen Güterzahlen eine bessere Ökobilanz im Vergleich zu den eingesetzten Energie- und Wassermengen bei der Zucht und Lagerung heimischer Produkte in kleineren Sortimenten haben, die in Kühlhäusern in sauerstoffarmer Atmosphäre über viele Wochen gelagert werden müssen. 100 Aber es bleibt eine andere Frage: Was sagt der Anspruch auf Bionahrung über uns, wenn wir bereit sind, uns auf solche CO 2 -Rechnungen einzulassen?
Im Kosmos von Landlust und erfolgreichen Supermarkt-Ketten geht es längst nicht mehr nur um Fairtrade (wer will schon an Armut erinnert werden?), sondern auch um die Einlösung des eigenen Anspruchs auf gutes Essen. „Bio“ ist eben nicht gleich „Öko“. Man kann einen Biomarkt darum wie einen geschützten Kosmos betreten. Ob der Sinn von Dezentralität und regionaler Verantwortung, auf die sich viele Kunden zu Recht berufen, dabei noch haltbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Wie sähe ein Bioladen aus, der ernst machen würde mit saisonaler und regionaler Nahrung, mit Ernteausfällen in Folge natürlicher Wetterschwankungen?
Im Markt um die Ecke
Wer einen Eindruck von der Notwendigkeit eines harten ökonomischen Kalküls gewinnen möchte, kann dies auch in einem der anderen großen Bio-Supermärkte Berlins wie Alnatura tun. Er wird zur Auffüllung des Sortiments dieselben Steinofen-Pizzen der Firma Wagner finden wie in jedem anderen Supermarkt. Und Bananen. Und vieles andere mehr, das Käufer heute schlichtweg erwarten. Wer hingegen nach regional erzeugtem Fleisch fragt, geht enttäuscht wieder hinaus auf die Straße. So gut wie die gesamten Auslagen vom Hackfleisch bis zum Grillgut werden in Süddeutschland erzeugt und dann nach Berlin gefahren. Diemeisten der Fleisch- und Wurstwaren kommen von der Packlhof Bio-Metzgerei, einem großen Erzeuger im bayerischen Eurasburg südlich von München, der 600 Kilometer von Berlin entfernt liegt und auf seiner Homepage damit wirbt, biologische Fleischprodukte aus der Region zu verwenden.
Auch die andere Wurst bei Alnatura, das seine Verteilzentrale im hessischen Bickenbach hat, kommt nicht von hier, sondern etwa von der Chiemgauer Naturfleisch GmbH im bayerischen Trostberg, unweit von Eurasburg. Sogar das Bier kommt aus Bayern, genauer gesagt der Oberpfalz. Aber das sollte einen angesichts der Tatsache nicht überraschen, dass in Berlin immer mehr süffiges Augustiner, Tegernseer und Tannenzäpfle getrunken wird, genau wie polnische und tschechische Biermarken, was mittlerweile sogar die Boulevardpresse beschäftigt.
Wurst aus dem agrarisch geprägten Umland Brandenburgs kann man bei Alnatura mit der Lupe suchen, obwohl es gut wäre, entsprechende Strukturen ans Laufen zu bringen mehr als zwanzig Jahre nach der Wende. Man muss dann schon auf
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