Das gruene Gewissen
einen Wochenmarkt gehen oder sich eine der Gemüsekisten und Ökokörbe ins Haus kommen lassen, die regionale Erzeuger anbieten, will man den eigenen Anspruch konsequent leben. Und so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Biomärkte in der Größe konventioneller Discounter, gewollt oder nicht, ein gigantisches Konjunkturprogramm für leistungsstarke landwirtschaftliche Erzeuger und Landbesitzer sind, das aufgrund des Nord-Süd-Gefälles etwas von einem umgedrehten Länderfinanzausgleich hat.
Die meisten ökologisch bewirtschafteten Flächen gibt es heute in Bayern, wenngleich auch in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg die Zahl deutlich zugenommen hat. Es sind genau jene intakten Strukturen, von denen Paul Götz gesprochen hatte, und sie sind nicht anders als große Biogas-, Onshore- und PV-Anlagen insofern eben gerade nicht dezentral, als sie ihre Produktion ganz bewusst auf Abnehmer ausrichten, die andernorts in Deutschland zu Hause sind. „Wir leben in einer sehr schönen Gegend mit Bergen, Seen und Schlössern und in einer traditionsreichen Kulturlandschaft“, heißt es auf der Homepage der Chiemgauer Naturfleisch GmbH, und man glaubt es den Betreibern aufs Wort. 101
Der Bedarf an Bio-Produkten sei einfach zu groß, sagt die Verkäuferin bei Alnatura zum Abschluss. Und dass man keinen regionalen Erzeuger in Brandenburg finden konnte, der solche Stückzahlen liefert. Es ist dabei keine Frage der Größe des Discounters: Selbst der kleine inhabergeführte Bioladen um die Ecke hat dieselben Wurstsorten von Bioland, Bio-Verde und Chiemseer Naturfleisch im Kühlregal. Immerhin noch einige wenige Packungen Würstchen und eingeschweißtes Fleisch aus dem brandenburgischen Kuhhorst und dem Jahnsfelder Landhof bei Müncheberg, die man, wenn man einen Grillabend mit Freunden machen will, komplett aufkaufen muss. Es ist im Grunde ein ähnlich gemischtes Sortiment, wie man es nur eine Straßenecke weiter in einem der Berliner Kaiser’s Märkte erhält. Dort findet man im Bio-Regal Würstchen und Leberkäse von der Altdorfer Biofleisch GmbH, die ihren Sitz im niederbayerischen Altdorf bei Landshut hat.
Und Fisch?, frage ich und denke an Havelzander und anderes mehr. Bei der „LPG“, die draußen am Fenster mit fairen und regionalen Produkten aus Brandenburg wirbt, finde ich einen besonders schönen Klappentext auf einer Packung Atlantiklachs. Sie liest sich wie der Anfang eines Naturgedichts: „Im rauen Atlantik wächst unter Aufsicht von Meeresbiologen der unvergleichliche atlantische Biolachs heran. Beste Wasserqualität, biologisch kontrolliertes Futter und viel Bewegung verleihen ihm sein kräftiges und muskulöses Fleisch. Artgerechte Haltung und ökologische Aufzucht erfolgen nach den strengen Richtlinien des Naturland Verbandes.“ Man legt den kleinen Karton zurück in den Kühlschrank wie ein Gesangbuch auf die Kirchenbank und läuft zwischen den rammelvollen Kassen zum Ausgang, wo der Blick noch mal zum „fair & regional. Bio Berlin-Brandenburg“-Schild geht. Und man denkt an einen Fischstäbchen-Werbesong der Kindheit,in dem Ferne anders als heute wie eine Verheißung klang: „Er kommt von weitem übers Meer und bringt uns unsern Fisch hierher. Für uns hat er die halbe Welt durchreist.“
Was mich aus nostalgischen Gründen mehr als beim Lachs hingegen jeder Illusion von Regionalität beraubt, ist ein Blick ins Fischkonservenregal bei Alnatura. Makrelenfilets in Tunke, wie sie mir bereits als Kind unter dem Handelsnamen „Scomber Mix“ von der Firma „Rügenfisch“ aus Saßnitz so sehr schmeckten, dass es ständig Diskussionen um ein „ausgewogenes Frühstück“ am Tisch gab, und die man heute noch in genau derselben Konserve in jedem konventionellen Supermarkt kaufen kann, kommen hier ebenfalls von einem Verarbeitungsbetrieb aus Süddeutschland unweit des Kernkraftwerks Gundremmingen: von der Firma Fontaine in Günzburg, einem Spezialisten für nachhaltigen Fischfang, so heißt es.
Es mag sein, dass die Zertifizierungen dort andere sind als bei „Rügenfisch“, wo man Makrelen aus dem Nordostatlantik verwendet, die mit der sogenannten pelagischen Schleppnetzfischerei gefangen wurden, während die Makrelen bei Alnatura ausschließlich mit kleinen Booten mit nicht mehr als sechs Mann Besatzung zwischen der spanischen Küste und den Azoren gefangen werden, wie die Homepage informiert. Wir sollten deshalb konsequenterweise zur Kenntnis nehmen, dass nachhaltig gefangene Fische
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