Das gruene Gewissen
steckt eine bestimmte Haltung, mit der in Biomärkten auch einzelne Artischocken von Mittvierzigern in Allwetter-Jacken oder jungen Eltern mit Baby-Björn bedächtig gewogen werden, als kämen diese aus einer Region für Blut-Diamanten. Die Suche nach dem vermeintlich Guten wirkt häufig etwas angespannt. So gibt es hier nicht nur wegen der mangelnden Gewohnheit kaum feixende Schülergruppen, keine Senioren, die nach Backpulver im Regal stochern oder nach Gelatine. Es herrscht eine Homogenität des Alters wie der Ansprüche vor, die etwas Unnatürliches hat. Die Stimmung in einem Biomarkt hat nicht selten etwas Konfessionelles, unangebracht Ernstes. Äpfel haben das Potenzial, zu einem Thema zu werden. Dass das so ist, dass wir uns darüber Sorgen machen, ist kein gutes Zeichen.
Du und Dein Garten: Urban Farming
Der Wunsch nach biologischer Nahrung hat mittlerweile Formen angenommen, die nicht mehr sind als das Streicheln von Seelen und das Befriedigen alter Autonomiegedanken. Auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof oder in den Prinzessinnengärten in Berlin-Kreuzberg kann man dem sogenannten Urban Farming oder Gardening zusehen, das Vorläufer in den Großstädten der Vereinigten Staaten hat, wo man sich auch Kaninchen oder Hühner in Wohnblocks oder auf Garagendächern hält, um ein möglichst autarkes Dasein zu führen. Mini-Farming. Autark auf 1000 Quadratmetern , Selbstversorgung. Unabhängig, nachhaltig und gesund leben oder Der Traum vom Landleben heißen erwartungsgemäß Buchtitel, die zum Thema entstanden sind.
Dabei geht es um nicht weniger als die Wiederentdeckung des urbanen Mikrokosmos jenseits des virtuellen Glanzes von Landlust: Städter – auch solche, die über geringe Einkommen verfügen und nicht unbedingt zur Bioladen-Klientel zählen – haben sich kleine Beete angelegt, die sie akribisch pflegen, um ein Stück Entscheidungsgewalt zurückzuerlangen, Freude im Freien zu haben, im Stillen aber auch gegen bestehende Versorgungsstrukturen aufzubegehren. Es ist ein Event, der ein wenig an interaktives Theater erinnert, das mit Nachhaltigkeit und den Gesetzen der Versorgung wachsender Millionenstädte eingedenk ihrer alternden Bevölkerung, die immobil ist und sich schlecht bücken kann, freilich wenig zu tun hat. Neben dem Glück des Produktivseins ist er in der öffentlichen Rhetorik immer auch getrieben vom Empfinden, möglichst noch „biologischer“ zu wirtschaften, sprich: auf Transportwege, Kühlung, Lagerung der regionalen Bio-Erzeuger komplett zu verzichten und dort zu produzieren, wo die Kunden leben.
Auf den Dächern Berlins sollen urbane Plantagen entstehen, die dezentral einen Beitrag zur Gemüse- und auch Fischversorgung übernehmen. So gibt es Modelle, die den Kreislaufgedanken im Kleinen umsetzen. Die Abwässer von Aquakulturen dienen als Dünger für die Pflanzen, die in der gleichen Anlage wachsen, während das Substrat, in dem die Pflanzen wachsen, das Wasser für die Fische reinigt. Tomaten, Salat und anderes Gemüse kombiniert mit Karpfen und Zander, die man im Ladengeschäft im Erdgeschoss verkauft: So sähe moderne Kreislaufwirtschaft aus.
Zumindest in punkto Transport hat dieser Gedanke etwas Verlockendes, wenn man an Umweltbilanzen glaubt. Es gehört zu den Absurditäten, die der Spiegel -Redakteur Alexander Neubacher in seinem Buch Ökofimmel moniert hat, dass regionale Hofläden von Biobauern besonders schlechte Umweltbilanzen aufweisen – aber für äußerst umweltfreundlich gehalten werden. Gemessen daran, dass ein Berliner Paar für einen Obstkorb mit dem Auto aufs Land nach Brandenburg und zurück fährt, sind Schiffstransporte wie gesagt hoch effizient. Aber es geht natürlich um mehr, das etwas mit Gefühl und Selbermachen zu tun hat.
Als ich zur Schule ging, fuhr mein Vater jede Woche zu einem Bauern in einem Warnow-Dorf namens Pölchow und holte dort Eier. Meistens fuhr ich mit. Ich sehe den Bauern vor mir: leichtgebückt und mit einer Kiepe, die ihn bei Dunkelheit wie eine Gestalt aus einem Charles-Dickens-Roman wirken ließ. Bis ins hohe Alter sammelte er die vom Wind zu Boden geworfenen Äste, um sie zu verbrennen. Und wenn auf dem lehmigen Weg einer der Lastkraftwagen Kohlenbriketts verloren hatte, dann las er sie auf wie ein Bettler.
Damals waren die Eier noch weiß, beschmutzt und manchmal mit Daunen verklebt, wenn auch unabsichtlich. Ich kann mich an das hektische Polieren mit dem Jackenärmel erinnern, wenn uns die Bäuerin, die
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