Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Moeller
Vom Netzwerk:
Fischer und Bergleute noch keine Beziehung zu einer äußeren Natur pflegen mussten, sondern selbst Teil von ihr waren. 119 Augenscheinlich zielte diese Rhetorik auf ein Ordnungsprinzip, das den Einzelnen noch im Ganzen einzugliedern vermag – aber nach Gesetzen, die der Mensch verantwortet.Genau darin liegt der überzeitliche, aber eben auch konservative Grundzug dieser Naturverehrung.
    Lange und andere brachten insofern eine besondere Blickrichtung in ihre Texte, als sie die Natur bewusst „klein“ machten. Gegenüber den „hohen Mythen“ der Naturdichtung etwa des 19. Jahrhunderts schauten sie „nach unten“ und nahmen eine horizontale Perspektive ein – zu den Gräsern, Kräutern und Gesteinen, für die es im klassischen Naturgedicht keinen Platz gab oder die bestenfalls Objekte botanischer und geologischer Studien waren. Ohne falsche Bezüge zu konstruieren, ist dies insofern bemerkenswert, als sich die heutige Faszination für Natur so gut wie immer auf das „Nahe“ erstreckt, bei dem man das entschleunigte Wachstum über Wochen mit eigenen Augen verfolgen kann. Es ist der magische Realismus des Beschaulichen, der an Aktualität gewonnen hat.
    Technik und Dynamik boten also den Boden für eine Faszination der Verlangsamung. Die Natur als Bezugspunkt war bei Lange & Co. ein unterstelltes Korrektiv der modernen Welt. Sie wurde mit Attributen wie „organisch“ oder „ganzheitlich“ versehen und als Gegenpol zur Zersplitterung und Auflösung der Großstadt aufgebaut. Der sich darin manifestierende Glaube an eine Naturvorstellung wie im 19. Jahrhundert, die Natur sei das Draußen , das Außerhalb der Zivilisation , kann mit einigem Recht als ein historischer Außenposten bezeichnet werden.
    Bereits Brecht hatte mit seiner Lyrik und den Keuner-Geschichten demonstrativ darauf beharrt, die Trennung von Natur und Stadt aufzuheben und die Natur durch rauchende Schornsteine auf Hüttendächern und Sitzbänke vor dem Haus in die Stadt zu integrieren. Bäume sollten nicht ein Betrachtungsgegenstand in den Wäldern sein, sondern etwas, das man vor dem Haus betrachten konnte. Die Natur war nicht gut, lautete die Botschaft, wenn sie ohne den Menschen und seine Spuren war. Dass diese Positionierung nie ganz abgeschlossen und auch Brecht insofern ein Zweifelnder seiner eigenen Poetologie war, als er die Natur auchals das schmerzlich Vermisste begriff, zeigt sein bekanntes Gedicht Über das Frühjahr – 1928 entstanden:
    „Lange bevor
    Wir uns stürzten auf Erdöl, Eisen und Ammoniak
    Gab es in jedem Jahr
    Die Zeit der unaufhaltsam und heftig grünenden Bäume.
    Wir alle erinnern uns
    Verlängerter Tage
    Helleren Himmels
    Änderung der Luft
    Des gewiß kommenden Frühjahrs.
    Noch lesen wir in Büchern
    Von dieser gefeierten Jahreszeit
    Und doch sind schon lange
    Nicht mehr gesichtet worden über unseren Städten
    Die berühmten Schwärme der Vögel.“ 120
    Die Bäume und mit ihnen die Schwärme der Vögel, die sich wie ein roter Faden durch die Naturdichtung dieser Zeit bis zum vielleicht berühmtesten deutschen Vogelgedicht des 20. Jahrhunderts ziehen, Oskar Loerkes Die Vogelstraßen (1926), waren den Menschen der großen Städte bereits vor neunzig Jahren offensichtlich abhandengekommen. Und wir sprechen heute wieder von ihnen, als wäre nichts geschehen?

Die Wälder Brandenburgs – oder: Welche Natur wir meinen
    Auf den Blitz folgte der Donner, das Gewitter stand unmittelbar über mir. Nun war alles vorbei. Es dampfte auf dem Asphalt, als hätte jemand frischen Teer ausgebracht. Ein Rinnsaal am Straßenrand war zu hören und das Tropfen des Regenwassers von den Bäumen. Ansonsten war es still wie nach einem Brand.
    Von Rheinsberg kommend änderte ich meine Route und fuhr weiter nach Nordosten, in die Uckermark, zu Freunden, die hier, unweit des Flüsschens Randow an der polnischen Grenze, Sommertage verlebten. Nach den Wäldern kamen die Äcker und Weiten, in denen der Strukturwandel mit Händen greifbar war. Dörfer zerfielen, weil den Gemeinden das Geld fehlte und die Jungen gingen. Die Arbeitslosigkeit lag seit Jahren bei mehr als fünfzehn Prozent. Stellenweise sogar noch höher.
    In der agrarisch geprägten Landschaft der Uckermark, die zum Ausstiegspunkt vieler Berliner geworden ist und heute Dichter wie Botho Strauß beheimatet, haben sich neben dem Wandel der Arbeitswelt vor allem die fehlenden Möglichkeiten sozialer Beteiligung auf die Wahrnehmung des eigenen Lebens ausgewirkt. Während Strauß

Weitere Kostenlose Bücher