Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
er entschlossen, fern von den Erinnerungen und der Sandwüste zu leben. Nicht einmal die Barrios am Fluß betrat er, die Gallinacera, die Gegend ums Schlachthaus, einzig und allein die Mangachería: zwischen seine Vergangenheit und ihn schob sich die Stadt. Und die Mangaches adoptierten ihn, ihn und die verschlossene Chunga, die, in einer Ecke kauernd, das Kinn auf den Knien, scheu ins Leere starrte, während Don Anselmo spielte oder schlief. Die Mangaches sagten Don Anselmo, wenn sie von ihm sprachen, zu ihm aber sagten sie Arpista, Alter. Denn seit dem Feuer war er alt geworden: seine Schultern hingen, seine Brust sank ein, Risse durchfurchten seine Haut, sein Bauch schwoll, seine Beine bogen sich, und er verwahrloste, wurde schmutzig. Aus seiner guten Zeit hatte er die Stiefel herübergerettet, verkrustet, stark abgewetzt, seine Hose war zerschlissen, am Hemd war auch nicht ein einziger Knopf mehr, der Hut war voller Löcher, die Fingernägel lang, schwarz, die Augen rötlich geädert und triefend. Seine Stimme wurde heiser, seine Manieren nachlässiger. In der ersten Zeit engagierten ihn einige Principales, damit er auf ihren Geburtstagsfeiern, Taufen und Hochzeitenspiele; mit dem Geld, das er dabei verdiente, überredete er Patrocinio Naya, sie beide bei sich wohnen zu lassen und ihm und der Chunga, die schon zu sprechen anfing, einmal am Tag etwas zum Essen zu machen. Aber er lief immer so zerlumpt und so betrunken herum, daß die Weißen ihn nicht mehr holten, und von da an verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Gelegenheitsarbeiter, indem er bei einem Umzug half, Pakete austrug oder Türen putzte. In den Chicherías tauchte er auf, sobald es dunkel wurde, unvermutet, die Chunga mit einer Hand hinter sich her ziehend, in der andern die Arpa. Er war eine beliebte Persönlichkeit in der Mangachería, Freund aller und keines, ein Einzelgänger, der den Hut zog und die halbe Stadt grüßte, aber kaum je mit den Leuten ein Wort wechselte, und seine Arpa, seine Tochter und der Alkohol schienen sein Leben auszufüllen. Von seinen alten Gewohnheiten bewahrte er sich einzig den Haß auf die Aasgeier: sobald er einen erblickte, suchte er Steine zusammen und schleuderte sie auf ihn und beschimpfte ihn. Er trank viel, aber er war wie ein diskreter Säufer, nie streitsüchtig, in keiner Weise lärmend. Man erkannte, daß er betrunken war, an der Art, wie er ging, nicht im Zickzack, nicht torkelnd, sondern zeremoniös: die Beine weit auseinander, die Arme steif, das Gesicht todernst, den Blick in die Ferne gerichtet.
Sein Tageslauf war einfach. Am Mittag verließ er die Hütte von Patrocinio Naya und stürzte in einerArt Ungeduld, manchmal mit der Chunga an der Hand, manchmal allein, hinaus auf die Straße. Energischen Schrittes durchmaß er das Labyrinth der Mangachería, kam und ging auf den gewundenen, schräg abfallenden Pfaden, und so gelangte er hinauf bis zum Südrand, zur Sandfläche, die sich bis Sullana hinzog, oder hinab bis zu den Schwellen der Stadt, zu jener Reihe von Algarrobos, die sich an einem Bewässerungskanal dahinzieht. Er ging, kam zurück, ging wieder, machte ein übers andere Mal kurz Station in den Chicherías. Ohne die geringste Verlegenheit trat er ein und wartete still, stumm, ernst, bis jemand ihn zu einem Clarito, einem Glas Pisco einlud: dankte mit einem Kopfnicken und trat dann wieder hinaus und setzte seinen Marsch oder Spaziergang oder Bußgang fort, immer im gleichen fieberhaften Rhythmus, bis die Mangaches sahen, wie er irgendwo stehenblieb, sich in den Schatten eines Vordachs fallen ließ, es sich im Sand bequem machte, das Gesicht mit dem Hut bedeckte und so stundenlang liegen blieb, unbeirrt von den Hennen und Ziegen, die an seinem Leib schnupperten, ihn mit ihrem Gefieder und Bärten kitzelten, auf ihn schissen. Er hatte keinerlei Hemmungen, Passanten anzuhalten und um eine Zigarette zu bitten, und wenn sie sie ihm verweigerten, wurde er nicht wütend: ging weiter seines Wegs, stolz, würdevoll. Am Abend kehrte er zu Patrocinio Naya zurück, holte die Arpa und ging wieder in die Chicherías, aber diesmal zum Spielen. Stunden verbrachte er damit, dieSaiten zu stimmen, behutsam darüberhinstreichend, und wenn er zu betrunken war, die Finger ihm nicht gehorchten, die Arpa unrein klang, fing er an zu murmeln, wurden seine Augen traurig.
Bisweilen ging er auf den Friedhof, und da sah man ihn zum letztenmal vor Zorn toben, an einem zweiten November, als die städtischen Polizisten
Weitere Kostenlose Bücher