Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
verstört und zeigte nicht die Bissigkeit von sonst, sondern ging auf Zehenspitzen umher, ohne die Arme zu bewegen oder jemanden anzusehen, wie verängstigt oder verwirrt, Señora: da kam Doktor Zevallos herunter. Der Bulle und der Jüngling hörten auf zu spielen, die Insassinnen standen auf, die Chunga und die Selvática liefen ebenfalls auf die Treppe zu.
    »Ich hab ihm eine Spritze gegeben.« Doktor Zevallos wischte sich mit einem Taschentuch die Stirn ab. »Aber es gibt nicht mehr viel Hoffnung. Padre García ist bei ihm. Was er jetzt braucht, ist, daß man für seine Seele betet.«
    Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, Chunga, er hatte einen schrecklichen Durst: da oben war’s heiß. Die Chunga ging zur Theke und kam mit einem Glas Bier zurück. Doktor Zevallos saß an einem Tisch mit dem Jüngling, dem Bullen und der Selvática. Die Insassinnen waren an ihren Platz zurückgekehrt und setzten ihr monotones Getuschel fort.
    »So ist das Leben.« Doktor Zevallos trank, seufzte, schloß und öffnete die Augen. »Eines Tages sind wir alle an der Reihe. Ich viel früher als ihr.«
    »Leidet er sehr, Herr Doktor?« fragte der Bulle mit betrunkener Stimme; aber sein Blick und seine Gesten waren nüchtern.
    »Nein, drum hab ich ihm ja die Spritze gegeben«, sagte der Arzt. »Er ist bewußtlos. Mitunter kommt er zu sich, einige Sekunden lang. Aber Schmerzen spürt er keine.«
    »Sie haben ihm etwas vorgespielt«, flüsterte die Chunga, ihre Stimme ebenfalls verändert und die Augen unruhig. »Wir haben gedacht, das würd ihm vielleicht gefallen.«
    »Im Zimmer oben war nichts zu hören«, sagte der Arzt. »Aber ich hör schlecht, wer weiß, vielleicht hat’s Anselmo gehört. Ich hätte gern rausgefunden, wie alt er eigentlich ist. Bestimmt über achtzig. Er ist älter als ich, und ich bin in den Siebzigern. Schenk mir noch ein Glas ein, Chunga.«
    Dann schwiegen alle und verharrten so lange Zeit. Die Chunga erhob sich von Zeit zu Zeit, ging zur Theke und brachte Bier und Gläser mit Pisco. Das Tuscheln der Insassinnen war immer noch zu vernehmen, gelegentlich rauh und nervös, dann wieder gedämpft und fast unhörbar. Und auf einmal standen alle wieder auf und rannten zur Treppe, die Padre García herunterkam, ohne Hut und ohne Schal, mühsam, Doktor Zevallos winkend. Der stieg die Stufen hinauf, die Hand am Geländer, verschwand im Korridor, Padre, was war denn geschehen, viele Fragen klangen gleichzeitig auf, und als hätte das Geräuschsie erschreckt, verstummten alle im selben Augenblick: Padre García murmelte erstickt etwas. Seine Zähne klapperten sehr heftig und sein umherirrender Blick machte auf keinem Gesicht halt. Der Jüngling und der Bulle hatten sich umarmt, und einer der beiden schluchzte. Wenig später begannen die Insassinnen sich die Augen zu reiben, zu seufzen, laut zu klagen, einander um den Hals zu fallen, und einzig die Chunga und die Selvática stützten Padre García, der zitterte und hartnäckig und gequält die Augen verdrehte. Zusammen zerrten sie ihn zu einem Stuhl, und er, schlaff, ließ sich hinsetzen, die Stirn massieren und trank ohne aufzubegehren das Glas Pisco, das die Chunga ihm in den Mund goß. Sein Körper zitterte noch immer, aber seine Augen waren ruhiger geworden und blickten starr ins Leere, waren umringt von tiefen, großen Schatten. Kurze Zeit danach erschien Doktor Zevallos auf der Treppe. Er kam ohne Hast herunter, den Kopf gesenkt, sich langsam den Hals reibend.
    »Er ist in Frieden mit Gott gestorben«, sagte er. »Das ist, was jetzt wichtig ist.«
    Die dunklen Gestalten an den Tischen im Hintergrund hatten sich auch beruhigt, und das Tuscheln klang wieder auf, noch scheu, schmerzlich. Die beiden Musikanten lagen sich noch immer in den Armen und weinten, der Bulle heftig, der Jüngling lautlos und mit zuckenden Schultern. Doktor Zevallos setzte sich, ein melancholischer Ausdruck senkte sich übersein feistes Gesicht, Padre: hatte er mit ihm reden können? Padre García schüttelte den Kopf: nein. Die Selvática liebkoste seine Stirn, und er, ganz zusammengekrümmt auf dem Stuhl, bemühte sich zu sprechen, hatte ihn nicht erkannt, und ein heiseres Pfeifen kam aus seinem Mund, und wieder nahm sein Blick die ziellose unaufhörliche Erforschung der Umgebung auf: die ganze Zeit »La Estrella del Norte«, das einzige, was zu verstehen gewesen war. Seine Stimme, übertönt vom Weinen des Bullen, war kaum zu vernehmen.
    »Das war ein Hotel, das existiert hat, als ich

Weitere Kostenlose Bücher