Das grüne Haus (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
danach in Santa María de Nieva.«
»Zu Fuß können wir nicht gehen, die Eltern von Amelia wohnen weit weg«, sagt Aquilino. »Wir nehmen ein Taxi.«
»Einmal möcht ich da hingehen, wo ich geboren bin«, sagt Lalita. »Ist mein Haus noch da, Aquilino? Ich werd weinen müssen, wenn ich Belén wiederseh, vielleicht steht das Haus noch und ist noch genauso.«
»Und deine Arbeit?« sagt Huambachano. »Verdienst du gut?«
»Fürs erste noch wenig«, sagt Aquilino. »Aber der Besitzer von der Gerberei wird uns nächstes Jahr aufbessern, das hat er versprochen. Er hat mir das Geld vorgeschossen für eure Reise.«
»Was ist das, Gerberei?« sagt Lalita. »Arbeitest du nicht in einer Fabrik?«
»Da werden die Häute gegerbt«, sagt Aquilino. »Und Schuhe, Handtaschen daraus gemacht. Am Anfang hab ich überhaupt nichts davon verstanden, und jetzt lerne ich die Neuen an.«
Er und Huambachano brüllen jedem Taxi nach, das vorbeikommt, aber keines hält.
»Jetzt fühl ich mich nicht mehr so miserabel wie auf dem Schiff«, sagt Huambachano. »Dafür macht mich die Stadt schwindlig. Daran bin ich auch nicht mehr gewöhnt.«
»Das liegt daran, daß es für Sie nichts anderes als Santa María de Nieva gibt«, sagt Aquilino. »Das ist das einzige, was Ihnen auf der ganzen Welt gefällt.«
»Stimmt, heute würd ich nicht mehr in der Stadt leben wollen«, sagt Huambachano. »Mir ist das Land lieber, das ruhige Leben. Wie ich meine Entlassung aus der Guardia Civil beantragt hab, da hab ich zu deiner Mutter gesagt, ich werd in Santa María de Nieva sterben, und das werd ich auch.«
Ein uraltes Auto bremst quietschend vor ihnen, scheppernd, als fiele es gleich auseinander. Der Chauffeur bringt den Koffer auf dem Wagendach unter, bindet ihn mit einem Strick fest, und Lalita und Huambachano setzen sich auf die hinteren Sitze, Aquilino neben den Chauffeur.
»Ich hab rausgefunden, was du hast wissen wollen, Mutter«, sagt Aquilino. »War sehr umständlich, niemand hat etwas gewußt, haben mich von einer Stelle zur andern geschickt. Aber schließlich hab ich’s doch rausgefunden.«
»Was?« sagt Lalita. Trunken schaut sie hinaus auf die Straßen von Iquitos, ein Lächeln auf den Lippen, fast zu Tränen gerührt.
»Die Sache mit Señor Nieves«, sagt Aquilino, und Huambachano, plötzlich interessiert, blickt zum Fenster hinaus. »Voriges Jahr haben sie ihn entlassen.«
»So lange war er im Gefängnis?« sagt Lalita.
»Er wird nach Brasilien gegangen sein«, sagt Aquilino. »Die aus dem Gefängnis kommen, gehen nach Manaos. Hier kriegen sie keine Arbeit. Dort wird er welche bekommen haben, daß heißt: wenn er ein so guter Lotse war, wie’s heißt. Nur eben, so lange weg vom Fluß, wer weiß, vielleicht hat er seinen Beruf verlernt.«
»Ich glaub nicht, daß er’s verlernt hat«, sagt Lalita, wieder ganz gefesselt von dem Anblick der engen und bevölkerten Straßen, der hohen Bürgersteige, der Fassaden und Eisengitter. »Aber es ist wenigstens gut, daß er endlich entlassen worden ist.«
»Wie heißt deine Braut mit Nachnamen?« sagt Huambachano.
»Marín«, sagt Aquilino. »Eine kleine Mulattin. Arbeitet auch in der Gerberei. Habt ihr das Foto nicht bekommen, das ich euch geschickt hab?«
»Seit Jahren hab ich nicht mehr an die Dinge von damals gedacht«, sagt Lalita plötzlich und wendet sich Aquilino zu.
»Und heut seh ich Iquitos wieder und du redest von Adrián.«
»Das Auto macht mich auch krank«, unterbricht sie Huambachano. »Dauert’s noch lang, bis wir da sind, Aquilino?«
IV
Zwischen den Dünen, hinter der Grau-Kaserne dämmert schon der Morgen, aber die Stadt liegt noch im Dunkeln verborgen, als Doktor Pedro Zevallos und Padre García Arm in Arm über die Sandfläche gehen und ins Taxi steigen, das auf der Autostraße wartet. In seinen Schal gehüllt, den Hut schief auf dem Kopf, ist Padre García ein Paar fiebernder Augen, eine fleischige Nase, die unter zwei buschigen Augenbrauen hervorragt.
»Wie fühlen Sie sich?« sagt Doktor Zevallos und schüttelt den Sand aus dem Hosenaufschlag.
»Es dreht sich mir immer noch alles im Kopf«, murmelt Padre García. »Aber ich werd mich ins Bett legen und dann vergeht’s.«
»So können Sie nicht zu Bett gehen«, sagt Doktor Zevallos. »Zuerst werden wir frühstücken, was Warmes wird uns guttun.«
Padre García macht eine ärgerliche Geste, um diese Zeit war doch nirgends offen, aber Doktor Zevallos unterbricht ihn und beugt sich zum Chauffeur vor: war bei
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