Das gruene Zelt
ihr Mann von nichts wisse, weder von der Schreibmaschine noch davon, dass Galja sich mit Schreibarbeiten etwas dazuverdiente. Überhaupt habe sie keinem Menschen je ein Wort davon erzählt. Das beteuerte sie so heftig, dass Olga ihr glauben musste. Wie das alles zum KGB gelangt war, blieb ein Rätsel. Und warum zum Teufel hatten sie gewartet, warum waren sie nicht gleich gekommen?
»Oletschka, bitte, versteh mich: Jetzt muss ich Gena alles erzählen. Ich weiß, damit reite ich euch alle rein, dich, Antonina Naumowna und Gena. Er kann schließlich deshalb auch Unannehmlichkeiten bekommen! Aber soll ich mich stattdessen aufhängen? Du meinst wohl, ich bin undankbar und ich weiß nicht, wie viel deine Familie mein Leben lang für mich getan hat? Aber Gena weiß das nicht. Das betrifft ihn überhaupt nicht. Er führt ein ganz anderes Leben und denkt über alles ganz anders. Er ist vollkommen linientreu! Olga, du warst doch auch immer so linientreu! Wer war denn in der Schule Vorsitzende der Komsomolorganisation, ich etwa? Du warst überhaupt die Sowjetischste von uns! Tamara hat zwar nie was gesagt, aber im Innersten war sie antisowjetisch, und ich hatte mit all dem gar nichts am Hut, seit ich zwölf war, gab es für mich nur Stufenbarren und Schwebebalken, sonst nichts!«
Da klackte das Türschloss, und Ilja stürmte herein. Er und Olga umarmten sich wie nach einer langen Trennung und sanken einander erschöpft in die Arme.
Galja zog sich geistesgegenwärtig rasch an und schlüpfte hinaus.
»Wann haben sie dich rausgelassen?«, fragte Ilja, ohne Olga loszulassen.
»Abends um elf. Und dich haben sie die ganze Zeit festgehalten?«
»Erst sind sie mit mir zu meiner Mutter und haben dort restlos alles eingesammelt. Alles. Mein Labor ist futsch. Dann haben sie mich in die Malaja Lubjanka gebracht und bis jetzt dort festgehalten.«
Seit Kostja zur Schule ging und sie in Olgas Moskauer Wohnung gezogen waren, hatte er sein Labor wieder zu seiner Mutter verlegt, in die Kammer.
»Ein einstöckiges Haus? Da war ich auch.«
»Ja, die Moskauer Verwaltung. Zum Teufel mit denen, zum Teufel«, murmelte Ilja, und alles war ihm unwichtig, alles, bis auf Olga, seine Frau, seine Geliebte, die alles wert war, alles … Er hatte sie geschützt, so gut er konnte, hatte alles auf sich genommen. Und tatsächlich hatte ja er die Bücher ins Haus gebracht! Er hatte Olga rausgehalten, so gut er konnte. Er selbst würde sich schon irgendwie rauswinden, Hauptsache, er schadete Olga nicht.
Seine Olenka mit den ein wenig aufgesprungenen Lippen und den Sommersprossen auf der weißen Haut, der wichtigste Teil seines Lebens, sein Herzstück, streichelte sein Gesicht. Ilja stand noch eine Auseinandersetzung mit der Behörde bevor, aber er war fest entschlossen, Olga weiterhin um jeden Preis herauszuhalten.
Als Antonina von der Arbeit kam, berichtete ihr die Tochter ausführlich über das Vorgefallene. Antonina griff sich ans Herz, dann zum Telefon. Sie verabredete sich für den nächsten Tag mit General Iljenko, einem Angehörigen der »lebenswichtigen Organe«, der den sowjetischen Schriftstellerverband betreute. Sie waren seit den dreißiger Jahren befreundet, als sie am Anfang ihrer großen Karriere stand, hatten die stalinschen Säuberungen überlebt, dann erfolgreich selber welche durchgeführt, die Kämpfe gegen die Formalisten durchgefochten, im Fall Ehrenburg zusammengearbeitet.
Iljenkos Arbeit war schwierig und äußerst undankbar. Aber hochwichtig, davon war Antonina Naumowna überzeugt. Er half »seinen Leuten«, auch Antonina Naumowna half er diesmal.
Sie traf sich auf seinen Anruf hin mit einem anderen General; das Gespräch war für die Schriftstellerin ziemlich demütigend, aber schließlich wurde alles geregelt: Sie bekam ihre Schreibmaschinen zurück, die alte »Underwood« und die neue »Optima«, ihre Notizbücher und ihre Manuskripte, die bei der Haussuchung beschlagnahmt worden waren. Sogar einige Bücher von Ilja – vorrevolutionäre religiöse Schriften, die Antonina Naumowna nie in die Hand genommen hätte. Und Ilja erhielt seine Fotoapparate und das Vergrößerungsgerät zurück. Nur Olga bekam ihre »Erika« erst nach drei Monaten wieder, auf besonderen Antrag. Wie die Schreibmaschine dorthin gelangt war, wer Olga denunziert hatte, erfuhr sie nicht.
Antonina Naumowna war nicht streitsüchtig, zudem hatte sie nach Olgas Rausschmiss von der Uni bereits die ganze Bitterkeit des alten russischen Konflikts zwischen
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