Das gruene Zelt
Deckchen –, machte Ljudmila Ilja das Bett auf dem Sofa, zeigte ihm, wo sich die Toilette befand, wünschte ihm gute Nacht und ging, kam aber nach einer Weile mit einem Handtuch wieder.
»Das hab ich vorhin vergessen«, sagte sie lächelnd. Sie war schon bettfertig umgezogen, unter einem blauen Flanellbademantel schauten die üppigen Rüschen eines hellblauen Nachthemds hervor. Ihren Haarknoten hatte sie gelöst, der zottige Zopf fiel ihr auf die Brust, als sie sich vorbeugte, um das Handtuch auf einen Stuhl neben dem Sofa zu legen. Das Licht des Vollmonds, bläulich und intensiv, das Glitzern der Schneewehen draußen und die altmodische Gemütlichkeit – »wie in einem Gutshaus«, dachte Ilja flüchtig –, das alles weckte in ihm eine romantische Regung, er zog Ljudmila an sich, und sie gab willig nach …
Am Morgen fuhr Ilja weg und machte sich keine weiteren Gedanken über das nächtliche Abenteuer. Am Ende der Woche traf er Ljudmila in der Bibliothek, brachte sie nach Hause und blieb wieder über Nacht. Die Kinderfrau war wie beim ersten Mal nicht da.
Sie hatten keine Affäre. Das meinte zumindest Ilja, der etwas vom Flirten verstand, sich häufig in hübsche Mädchen verliebte und bei seinen Freunden sogar als großer Verführungskünstler galt. Doch dieses unscheinbare, welkende Mädchen, das womöglich nie eine weibliche Blütezeit erlebt hatte, lohnte keine Anstrengung, sie war ihm ganz von selbst unversehens in die Arme gefallen.
Ilja wäre nie auf die Idee gekommen, dass aus den seltenen Begegnungen, denen jede Würze fehlte, eine etwas langweilige, aber durchaus erträgliche Ehe werden sollte.
Im dritten Jahr ihrer trägen Beziehung wurde Ljudmila schwanger – sie war vierunddreißig, zehn Jahre älter als Ilja. Sie heirateten kurz vor der Geburt des Kindes, übrigens ohne besonderes Drängen von Ljudmilas Seite. Sie hatte Iljas Vorschlag zu heiraten nur mit geringer Begeisterung aufgenommen, was ihn sogar enttäuschte: Immerhin war er ein wenig stolz auf seinen Edelmut.
Mit der Geburt des Jungen, den sie Ilja nannten – nach dem großmütigen Vater oder nach dem gleichmütigen Großvater Ilja Iwanowitsch –, zog Ilja fast gänzlich zu Ljudmila, brachte sogar einen Teil seiner wertvollen Büchersammlung in das alte Sommerhaus. Das Zimmer neben dem von Ljudmila überließ die Kinderfrau allerdings nicht dem jungen Ehemann. Er bezog ein Zimmer im ersten Stock, das recht kühl, aber geräumig war.
Ljudmila leitete ein Labor für spezielle Bodenkunde, hatte schon vor langer Zeit ihre Doktorarbeit verteidigt und hätte, wäre nicht die Schwangerschaft dazwischengekommen, auch ihre Habilarbeit geschrieben. Doch das Baby, obwohl still und brav und eigentlich ausschließlich von der Kinderfrau Klawa betreut, nahm Ljudmila den einstigen akademischen Enthusiasmus, und die bereits angefangene Habilarbeit versiegte auf halbem Wege.
Ilja gefiel es immer besser in Ljudmilas Haus. Auf der einen Seite reichte die Stadt bis an die kleine Sommerhaussiedlung heran, auf der anderen Seite befanden sich Versuchsfelder, und ganz in der Nähe lag der riesige Timirjasew-Park mit uralten Linden- und Tannenalleen, mit Teichen und alten Futterkrippen für Wildtiere, die es hier längst nicht mehr gab.
Manchmal verbrachte Ilja die ganze Woche dort, dann fuhr er für mehrere Tage weg. Ljudmila verlangte keine Rechenschaft von ihm, auch kein Geld. Wenn er kam, schien sie sich zu freuen, wenn er ging, machte sie ihm keine Vorwürfe. Sie bat ihn nur, möglichst vorher Bescheid zu sagen.
Der kleine Iljuscha kam nach Ilja, er hatte Locken und ein schmales Gesicht. Er weinte selten, lächelte wenig, und Ilja meinte, er habe das mütterliche Temperament geerbt. Mit drei Jahren offenbarte der Junge einige Merkwürdigkeiten: Er sprach, konnte sogar einfache Verse auswendig, die sie ihm vorgelesen hatten, aber auf die Frage »Hast du Hunger?« antwortete er: »Hast du.« Klawa meinte, es sei alles in Ordnung, das einzig Besondere sei, dass er eben klüger sei als alle anderen, er würde bestimmt mal Professor. Er war schon fünf, konnte zum Entzücken der Kinderfrau Puschkins Märchen seitenweise auswendig, aber die merkwürdige Sprachstörung hielt sich hartnäckig. Sie konsultierten einen Spezialisten, und der stellte die Diagnose: Autismus. Sie erklärte all die kleinen Merkwürdigkeiten und Entwicklungsstörungen – die mürrische Konzentriertheit, die Ungeselligkeit, die Unfähigkeit zum Dialog. Und der Arzt verhieß ihnen
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