Das gruene Zelt
hören.
»Dann übernachten wir bei dir in der Küche!«
»Spinnst du, in welcher Küche?«
Er schaute sich um, etwa fünfzig Funktionäre standen abwartend hinter ihnen und verstanden kein Wort.
»Unsere Gäste bitten um Entschuldigung, aber sie müssen noch heute abreisen, weil sie morgen zu einem Empfang ins ZK geladen sind.«
»Das ist ein Skandal! Ein Skandal! Weiß er, was er da tut?«, flüsterte der Verantwortliche Olga ins Ohr.
Die Schlussszene fand drei Tage später statt, als Olga in der Buchhaltung die Belege über ihre Ausgaben abgab. Das Telefon klingelte.
»Karen Awetissowitsch bittet Sie, bei ihm vorbeizuschauen«, sagte die Buchhalterin.
Karik saß mit majestätischer Miene am Schreibtisch.
»Was war da los bei euch, kannst du mir das mal erzählen?«
Olga erzählte alles ehrlich.
»Hm, tja … Nimm ein Blatt Papier und schreib einen Bericht.«
»Was für einen Bericht? Den hab ich doch schon abgegeben.«
»Der war für die Finanzen, dieser ist fürs KGB«, sagte Karik.
»Was soll das heißen?«, empörte sich Olga. »Ich schreibe keinen Bericht. Das hatten wir nicht abgemacht.«
»Was hatten wir denn abgemacht?«
Olga versenkte das Gesicht in den Händen: Was war sie doch für eine Idiotin! Wenn sie jetzt einen Bericht schrieb, war ihr guter Name für immer dahin. So wurde man zum Spitzel.
Sie nahm die beträchtliche Summe, die sie in der Buchhaltung erhalten hatte, aus ihrer Tasche – ein reines Gewissen war mehr wert.
»Dann sagen wir lieber, ich habe nie hier gearbeitet. Hier ist mein Honorar, und damit beenden wir das Thema.«
»Gehen wir ein Stück, es ist schönes Wetter«, schlug Karik vor und wies mit einer Kreisbewegung seines dicken Fingers nach oben.
Aha, dachte Olga schadenfroh, du hast auch Angst, abgehört zu werden!
Sie gingen schweigend hinaus. Olga voran, er hinter ihr. Sie überquerten die Worowski-Straße, bogen in den erstbesten Hof in der Trubnikowski-Gasse ein und setzten sich auf eine Bank.
»Wovor hast du Angst? Es gibt Spielregeln, und die muss man einhalten. Hauptsache, man bleibt ein anständiger Mensch. Ich habe im ganzen Leben niemandem etwas Böses getan. Und allen geholfen. Aber mich dabei immer an die Regeln gehalten.«
Olga beschimpfte sich im Stillen: Idiotin! Närrin! Dumme Gans!
Aber er fuhr schon fort: »Und für diesen Pablo gelten andere Regeln, ja? Er ist Kommunist, ja, hat sich aber mit allen seinen Leuten überworfen, und das macht ihm nichts aus. Er hat keine Angst, denn in seinem Land wurde ja niemand geschlagen oder ermordet. Aber meine Familie, die ist aus der Türkei geflohen, damals wurden alle Armenier ermordet, die dort lebten. Und weißt du was? Die Armen sind geblieben, nur die Reichen konnten fliehen. Damals hat das Geld Leben gerettet. Das tut es heute nicht mehr. Heute rettet Macht Leben. Wer ist denn dieser Pablo? Nichts als ein Flegel! Mit zweifelhafter Moral. Er war dreimal verheiratet, und in Leningrad hat er Nutten mit aufs Zimmer genommen! Das hast du nicht gesehen, also schreib nichts darüber! Politisch ist er – ohne Worte! Aber er sagt ja auch kein Wort, er macht nur Faxen und singt Liedchen. Hab ich recht oder nicht? Also schreib – er macht Faxen und singt Liedchen. Denk dran – das ist nichts als die Wahrheit! Wenn du’s genau wissen willst – vielleicht nicht die ganze Wahrheit! Aber die Regeln muss man einhalten. Meinst du, ich bin besonders linientreu? Natürlich bin ich linientreu, aber meine Freunde verrate ich nicht. Du sagst nichts, du denkst daran, wie ich dich aus dem Komsomol geworfen hab? Das war dein Fehler. Wieso musstest du den Dozenten verteidigen, wieso irgendwelche Briefe unterschreiben? Er hat die Regeln verletzt, er hat selbst alle reingeritten! So viele Leute haben seinetwegen ihre Arbeit verloren … Und was war er selber für einer? Das weißt du vielleicht nicht, aber er hat mit uns zusammengearbeitet. Seit den fünfziger Jahren! Und Berichte geschrieben. Ich hab sie selbst in der Hand gehabt, das schwör ich bei meiner Mutter. Und wo ist er jetzt?«
Olga wusste, dass dieses gemeine Gerücht in Umlauf gebracht worden war. Sie zuckte die Achseln.
»Sobald er draußen war, ist er ab nach Paris! So sind die Regeln – die eigenen Leute werden nicht verraten. Er wurde bestraft, gerecht bestraft, und dann freigelassen. Aber viele Leute sitzen seinetwegen noch heute! Das ist kein anständiger Mensch! Für so einen hab ich keine Achtung! Du kannst noch froh sein, dass man dich
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