Das gruene Zelt
maternal milk! Take me up! – the children say! «
Sie stellt den Koffer ab und legt beide Hände auf ihre gewichtigen Brüste.
Da erschrickt Sanja ein wenig.
Sanja bringt seine Braut ins Hotel »Berlin«. Bevor Debby ins Bett fällt – für rund zwölf Stunden, wegen der Zeitverschiebung, der großen Party mit Freunden in New York vor ihrem Abflug und dank ihres robusten Nervenkostüms –, trinken sie unten in der Bar Wodka. Schwatzen ein bisschen. Küssen sich – und trennen sich bis zum nächsten Morgen.
Am Morgen will Sanja seiner Braut Moskau zeigen, am Abend mit ihr das Konservatorium besuchen. Andere Gastgeschenke hat er nicht vorbereitet. Nur eine gemeinsame Unternehmung steht noch auf dem Programm: die Beantragung der Eheschließung im Hochzeitspalast, der einzigen Stelle, wo Ausländer heiraten dürfen.
Der morgendliche Spaziergang durch Moskau begann am Nachmittag. Die Route bestimmte Sanja.
Den Kreml hatte man Debby schon beim letzten Mal gezeigt, nun wollte sie the real life sehen.
Sie verließen das Hotel. Das Wetter war traumhaft: Frost und Sonne, der Tag so herrlich, Himmel und Schnee von unglaublichem Blau. Die gesunde Kälte und die kalte Sonne lösten in der in Texas geborenen Irin ein derartiges physisches Glücksgefühl und ein solches Entzücken aus, dass Sanja, der den Winter eigentlich nicht mochte, sich umschaute und ihr zustimmte: Herrlich!
Doch er selbst empfand keinerlei Winterfreude, und in dem unbewussten Wunsch, der Braut die Euphorie auszutreiben, führte er sie an den allerschlimmsten Ort – auf den Dsershinski-Platz, auf dem hochaufgerichtet der blutrünstige Ritter der Revolution stand.
Er zeigte auf das Haus dahinter.
»Das ist die Lubjanka. Unser Jüngstes Gericht.«
»Ja, ich weiß, das Jahr 1937.«
Er fasste Debby unter.
»Wieso 1937? Dieses Ungeheuer ist noch immer quicklebendig. So, jetzt habe ich dir ein wenig die freudige Stimmung verdorben, nun lass uns spazieren gehen.«
Sein angelerntes Englisch war gut, und sein feines Gehör registrierte sofort Debbys schleppenden und ein wenig lispelnden texanischen Akzent.
Sie liefen bis zum Puschkinplatz und blieben am Beginn des Twerskoi-Boulevards stehen. Wie oft hatten hier in früheren Jahren die Spaziergänge der Ljurssy angefangen! Ihr Lehrer hatte sie zum Puschkindenkmal bestellt, und von hier starteten sie ihre Exkursionen in die Vergangenheit: Ilja mit seinem Fotoapparat, Micha mit einem Heft und ein Dutzend weiterer wissbegieriger Schüler …
Debby offenbarte eine jungfräuliche Unwissenheit auf dem Gebiet der russischen Kultur. Er musste bei Null anfangen.
»Hast du Tolstoi gelesen?«, fragte Sanja.
»O ja! Ich habe Krieg und Frieden gesehen! Beide Filme! Ich liebe sie! Audrey Hepburn, wundervoll! Und euer Pierre Besuchow natürlich, Bondartschuk. Er hat einen Oscar bekommen! Ich habe eine Kritik geschrieben!«
»Sehr schön. Dann zeige ich dir jetzt das Haus, in dem die Familie des Grafen Rostow gewohnt hat«, sagte Sanja seufzend.
Was für ein schlichtes Gemüt, dachte er und führte sie zu dem berühmten Haus.
Vier Tage lang hielt sich das festliche Wetter, vier Tage lang streiften sie durch Moskau. Die Braut erwies sich bei aller Schlichtheit fähig zu Empfindsamkeit und Empathie, war eine wunderbare Begleiterin, gut zu Fuß und neugierig, und kompensierte ihre unglaubliche Unwissenheit in allem, was die russische Kultur anging, durch gieriges Interesse. Das sich in gewisser Weise auch auf Sanja erstreckte.
Sie liefen durch das eisige Moskau, das tagsüber sonnig und abends schlecht beleuchtet war, froren, gingen in die zu der Zeit raren Cafés und Imbissstuben. Es war Debbys romantischste Reise. Höchstens Spanien konnte da mithalten: Vor zehn Jahren hatte sie dort einen Monat verbracht, sie hatte einen wunderbaren Spanier kennengelernt, der ihr Madrid und Barcelona zeigte und anschließend mit ihrem ganzen Geld verschwand. Aber sehr viel war es nicht gewesen …
Nach dem Besuch des Museums in Chamowniki, wo Debby vor Rührung fast weinte – »Sanetschka! Euer Lew Tolstoi ist nicht weniger groß als Voltaire!« –, gingen sie durchgefroren in ein altes Haus und setzten sich im zweiten Stock aufs Fensterbrett, neben die Heizung. Sanja zog eine Taschenflasche hervor – Iljas Schule! –, und sie tranken.
Normalerweise redete Debby pausenlos. Nun aber schwieg sie auf dem ganzen Heimweg, und als sie sich vor dem Hotel verabschiedeten, sagte sie:
»Sanetschka! Ich verstehe nicht, wie ich
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