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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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Frauen ihre teuren Toten beweinen. Nur Frauen können das tun. Wir haben euch geholt, weil wir von euch eine schöne Totenklage wollen.‹
    Viktor, Xenia, ich hätte beinahe auf der Stelle gesungen ›Gott möge auferstehen und Seine Feinde sollen sich zerstreuen und diejenigen, die Ihn hassen, sollen fliehen vor Seinem Angesicht.‹
    ›Wir wissen von euch allen‹, sagt der glatzköpfige Hamster, ›dass ihr auf Beerdigungen gesungen habt und die georgische Totenklage kennt. Aus Moskau wurde uns mitgeteilt, die Führung wünsche, dass ihr unseren großen Führer beweint.‹
    Ich habe keine Ahnung von dieser Totenklage, Totenmessen habe ich oft gesungen, aber diese heidnischen Totenklagen, das macht kein Christ. Das ist doch Geheul, kein Gesang. Egal, denke ich, ich fahre! Dieses Vergnügen kann ich mir nicht versagen.
    Wie viele Frauen dort waren, weiß ich nicht. Sehr viele, ein ganzes Flugzeug voll. Manche weinten, andere waren stolz, aber alle haben vor Angst gezittert. Ich gestehe, ich bin noch nie mit einem Flugzeug geflogen und hätte das auch um keinen Preis getan – aber aus diesem Anlass …
    Wir kamen in der Nacht an und wurden mit Bussen in die Stadt gebracht, in eine Art Hotel. Ausschlafen konnten wir nicht, wir versammelten uns in einem Saal, und ein Georgier begrüßte uns. Er sei Musiker, sagte er, und er würde das Ganze leiten. Sein Gesicht kam mir bekannt vor, irgendwo hatte ich es schon mal gesehen. Wie ich noch überlege, wo, ruft er mich beiseite und flüstert mir leise ins Ohr: ›Ich bin der Bruder von Jewgeni Mikeladse‹ … Oh, Stalin, dieser Satan, wie viele Menschen er vernichtet hat.
    Jedenfalls, wir klagen – einen Tag, eine Nacht und noch einen Tag, ich hatte das schon satt. Eine endlose Probe!
    Und am Abend des achten Tages hieß es plötzlich, die Totenklage sei gestrichen. Warum sie die erst wollten und dann nicht mehr – weiß der Teufel! Alle wurden in Busse verfrachtet und weggebracht, keine Ahnung, wohin. Ich aber war im Bett geblieben und habe geschrien – oh, diese Krämpfe, oh, diese Schmerzen! Ich dachte, nein, ich fahre nicht weg, bevor ich dich gesehen habe. Irgendein Natschalnik sagt zu mir: Dann musst du dir aber selber eine Fahrkarte besorgen. Oh, schreie ich, es tut so weh! Ich besorge mir schon eine Fahrkarte.
    Gieß noch mal ein, Viktor! Ich trinke zum ersten Mal im Leben Wodka, ich habe zum ersten Mal im Leben gelogen, zum ersten Mal im Leben begraben wir einen großen Schurken!«
    »Leise, Nino, leise.« Xenia berührte ihre Schulter.
    Nino nickte und legte die wunderschönen Hände auf die Lippen. Viktor nahm mit seiner linken Hand ihre rechte und küsste sie. In ihrer aller Leben veränderte sich etwas. Zum Besseren.

Kellerkinder
    Ilja streifte ziellos durch die Stadt und versuchte zu begreifen, wohin sich dieser unglaubliche Demonstrationszug bewegte. Er stellte fest, dass es viele Teilstücke gab und dass eines davon am Weißrussischen Bahnhof begann – oder endete –, ein weiteres irgendwo am Schnittpunkt von Petrowski-, Roshdestwenski- und Zwetnoi-Boulevard. Dort blieb er eine Weile, merkte aber, dass er nicht genügend Filme dabeihatte, und schlug sich, als es schon ganz dunkel war, nicht ohne Mühe nach Hause durch. In der Nähe des Postamtes musste er über einen Zaun klettern. Niemandem war diese Gegend besser vertraut als den hier wohnenden Jungen, nicht einmal den Reviermilizionären. Hier hatten sie jahrelang Räuber und Gendarm gespielt und kannten daher sämtliche Durchgangshöfe, Torwege und selbst die Kanalisationsschächte in- und auswendig. In vielen Wohnungen gab es einen Ausgang zur Hintertreppe, man konnte durch den Vordereingang ins Haus gehen, bei einem Schulfreund klingeln, durch den langen Flur laufen und zur Hintertür hinausschlüpfen und kam auf einem anderen Hof oder gar einer anderen Straße raus.
    Gleich am nächsten Morgen, es war der 7. März, zwei Tage vor der Beisetzung, legte Ilja einen Film ein und verließ das Haus, kaum dass seine Mutter zur Arbeit gegangen war. Jetzt war es überall noch voller als am Abend zuvor. Der Durchgang von der Marossejka war nun nicht nur durch O-Busse abgeriegelt, sondern auch noch durch eine zweite Reihe aus LKW. Zum Säulensaal gelangte man nur vom Puschkinplatz aus, aber nicht über die Gorki-, sondern über die Puschkinstraße. Später wurde die Menge über die Neglinka geleitet.
    Die drei angrenzenden Boulevards waren mit dichtgedrängten Menschenmassen verstopft, doch gegen Mittag

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