Das gruene Zelt
Präservative lagen. Dieser Umstand machte ihn verlegen und zugleich wütend. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass sie, ganz in ihrer Eifersucht befangen, die Päckchen überhaupt nicht beachtet hatte.
Indessen fand Olga heraus, dass die Cousine einer ihrer Unifreundinnen in Paris lebte und diese Kiewer Oxana gut kannte. Von ihr kamen neue Informationen, die Olgas Verdacht bestätigten. Diese Ehe war keineswegs fiktiv! Oxana, die alte Katze, war verliebt in Ilja und war in Erwartung ihres jungen Ehemannes sogar von ihrer Zwei- in eine Dreizimmerwohnung gezogen.
Tamara beschwor Olga: Leg eine andere Platte auf. Reiß dir diese Liebe aus dem Herzen und wirf sie weg, so geht es nicht weiter. Er ist weg, denk einfach, er wäre tot. Leb dein eigenes Leben. Olga winkte nur ab.
Kein Jahr nach Iljas Abreise starb Afanassi Michailowitsch. Er wurde auf dem Wagankowo-Friedhof beerdigt, auf einem Ehrenplatz für hochrangige Militärs, allerdings ohne Salut. Keiner erinnerte sich mehr, was für ein General er gewesen war. Dabei hatte er im Krieg ganz Europa zu Fuß durchmessen, bis nach Wien, als Oberstleutnant. Er hatte nicht in Stäben gekämpft, nein, er hatte Brücken gebaut, für Flussüberquerungen gesorgt.
Den Tod ihres Vaters registrierte Olga kaum.
Voller Zorn dachte sie daran, dass sie nun in dieser Funktionärswohnung allein war mit ihrer Mutter, die demnächst in Rente gehen würde, mit Kostja und seiner hübschen Lenotschka. Und was hatte sie sonst noch im Leben?
Sie war so dumm, sie hätte mit Ilja fortgehen sollen! Aber nun war alles verdorben, beschmutzt, zertrampelt. Sich damit abzufinden war am schwersten. Wäre sie damals mitgegangen, hätte sich alles ganz anders entwickelt.
Während ihre stürmischen Klagen und Anschuldigungen gegen den Exmann zu starren Formeln wurden, wandelte sich ihr lebhafter Zorn zu nicht weniger lebhaftem Hass. Olga wurde immer dünner und gelber, ähnelte bald einer vertrockneten Zwiebel, ihr Bauch tat weh, und andere unangenehme Symptome kamen hinzu.
Indessen bahnte sich Ilja seinen Weg im Westen, doch der Erfolg blieb noch immer aus. Der Briefwechsel mit Olga brach ab, nachdem sie seiner Frau Oxana den Brief geschickt hatte, in dem er Olga von der Notwendigkeit einer fiktiven Ehe zwecks Etablierung im Westen und von ihrer beider ewigen und unendlichen Liebe geschrieben hatte.
Im zweiten Trennungsjahr bekam Olga eine neue Diagnose – Krebs. Sie wurde nun in einer onkologischen Klinik behandelt, ihr ging es immer schlechter, und die Ärzte deuteten ihrer Freundin Tamara gegenüber an, der Prozess sei unumkehrbar, sie sollten auf das Schlimmste gefasst sein. Antonina Naumowna ging nicht mehr ins Krankenhaus. Ihre größte Furcht war, dass Olga vor ihren Augen sterben könnte.
Tamara, frischbekehrte Christin, wollte alles richtig machen und ließ bis zuletzt nicht von ihren Bemühungen ab, Olga auf den Weg der Versöhnung und der Liebe zurückzuführen. Doch das misslang: Für die Kirche hegte Olga nicht das geringste Interesse, einen Priester lehnte sie ab, erschrak sogar, als Tamara davon anfing, und die Schuld an all ihrem Unglück und ihrer lebensgefährlichen Krankheit gab sie Ilja. Der hatte sich inzwischen endlich aus der Anonymität und Armut herausgerappelt, war nach München gezogen und arbeitete in der russischsprachigen Abteilung des Radiosenders Swoboda. Olga ließ sich keine seiner Sendungen entgehen. Nachts schaltete sie ihr Transistorradio ein, suchte die von Störsendern verrauschte Stimme aus München und hörte wie versteinert zu. Was empfand sie dabei?
Beim Anblick ihrer bitteren Miene beschloss Tamara, Ilja zu schreiben – dass Olga bald sterben werde, dass Gott von jedem Vergebung und Liebe erwarte und dass er, Ilja, den ersten Schritt tun müsse …
Ilja erfuhr aus diesem Brief nichts Neues, denn er hielt Kontakt zu Kostja und wusste von all den traurigen Ereignissen. Er war nicht gefühllos. Lange saß er an einem Brief, überlegte jeden Satz gründlich, wog ihn ab und maß ihn an Olgas Situation.
Es war Ende Dezember, viele Patienten wurden zum Jahreswechsel entlassen, manche durften für einige Tage nach Hause. Tamara bat die behandelnde Ärztin, auch Olga zu erlauben, das neue Jahr zu Hause zu feiern.
»Auf meine Verantwortung«, beharrte Tamara.
Die Ärztin sah sie aufmerksam an und sagte:
»Gut, Tamara Grigorjewna, sie darf raus. Wenn sie bis dahin noch lebt …«
Da kam der Brief von Ilja. Kein Brief – ein Meisterwerk. Er hob ihre
Weitere Kostenlose Bücher