Das gruene Zelt
Moskau zurück. Ohne großen Enthusiasmus, auf Olgas Wunsch. Kostja war inzwischen im vierten Studienjahr, Lena im dritten – wegen des Schwangerschaftsurlaubs hatte sie ein Jahr ausgesetzt.
Alles wurde verändert und umgestaltet. Weil Olga darauf bestand, zog Kostja in das ehemalige Zimmer seines Großvaters. Dort gab es einen bequemen großen Schreibtisch und einen zweiten Arbeitsplatz – einen Sekretär mit ausklappbarer Schreibplatte. Das war das Arbeitszimmer. Zum Schlafzimmer wurde das Zimmer der Großmutter, das »kleine kommunistische«, wie Kostja es nannte – wegen der asketischen Einrichtung, des grünen Lampenschirms auf dem Eichentisch, und weil Lenin mit einem Baumstamm auf der Schulter von der Wand herabblickte. Lena verbannte das Ledersofa und kaufte eine Liege, verteilte darauf Kissen mit Rüschen und ersetzte den Lenin durch van Goghs Sonnenblumen.
Olga überließ ihr Zimmer den Enkeln und zog ins ehemalige Esszimmer. Das berühmte Bett mit den Säulen und den Engeln wanderte zurück in das Antiquitätengeschäft in der Smolenskaja. Sie aßen nun in der Küche, wie jene Sowjetmenschen, die inzwischen zwar aus ihren Zimmern in Gemeinschaftswohnungen ausgezogen waren und in eigenen Wohnungen lebten, von bourgeoisen Arbeits- und Esszimmern aber noch nie gehört hatten.
Die stille Lena nahm unauffällig den Haushalt in die Hand, kümmerte sich um alles, putzte ordentlich und kochte gut. Jeden Morgen kam ihre Mutter Anna Antonowna, fütterte die Kinder, ging mit ihnen spazieren und legte sie schlafen.
Ein heroisches Mädchen war Lena. Sie eilte aus dem Institut nach Hause, löste ihre Mutter ab und übernahm die nächste Schicht. Olga kümmerte sich nicht um die Enkel, aber Lena war der Schwiegermutter nicht gram. Im Gegenteil, sie war dankbar. In Opalicha hatten sie zu viert in einem Zimmer mit zwei Fenstern und schiefem Fußboden gewohnt, sie mussten Holzkeile unter die Räder der Kinderbetten schieben, damit sie nicht wegrollten. In diesem Vorstadthaus gab es zwar kein warmes Wasser, aber immerhin war es zwei Jahre vor der Geburt der Zwillinge an die Wasserversorgung und an die Kanalisation angeschlossen worden.
Die Ruhe in der Generalswohnung war vorbei. Die vom Großvater gekauften und restaurierten Möbel wurden gnadenlos hin und her geschoben. Mischka und Verotschka, zwei Jahre alt, betatschten mit ihren Patschhändchen die karelische Birke. Mischka hatte besondere Freude daran, an den Vogelköpfen der Esszimmergarnitur herumzupolken, bis Kostja die komplette Garnitur in das Geschäft in der Smolenskaja zurückbrachte. Der Direktor kannte sie schon und zahlte überraschend viel.
Die treue Tamara schaute recht oft vorbei. Während Olga immer mehr zu Kräften kam, stellte sich zwischen ihnen wieder das gewohnte Verhältnis ein: Olga kommandierte, und Tamara gehorchte. Ihre gemeinsame Freundin Galja bereitete sich auf große Veränderungen in ihrem Leben vor, sie besuchte einen Fremdsprachenkurs an einer Abendschule und ließ sich kaum blicken. Zumal ihr Mann Gena gegen diese Freundschaft war – er hielt Olga für eine unpassende Freundin.
An Ilja schien Olga nicht mehr zu denken. Tamara freute sich, dass der Spuk vorbei war, und staunte, wie sehr er offenbar mit der Krankheit zusammengehangen hatte.
Aber Tamara wusste nicht alles. Olga beobachtete Ilja aus der Ferne. Ihr Kontakt schien zwar nach seinem Abschiedsbrief erneut abgebrochen, doch sie wusste nun, dass Ilja eine lebenswichtige Entscheidung getroffen hatte und der endgültige Triumph nur noch eine Frage der Zeit war. Olga wusste, dass Kostja seinem Stiefvater weiterhin schrieb, sie sah Zeichen ihres Kontakts: Die Kinder besaßen plötzlich Spielzeug und Kleidung aus dem Ausland. Aber das ärgerte sie nun nicht mehr, im Gegenteil, sie sah darin eine Bestätigung für baldige Veränderungen.
Außerdem hatte Olga einen geheimen Informanten, von dem sie erfahren hatte, dass Iljas Frau trank und er sich ihrer schämte, sie nirgendwohin mitnahm und sie von Zeit zu Zeit aus München nach Paris zurückschickte. Und dass sie ihm nachlief und ihm furchtbar auf die Nerven ging.
Das zu wissen tröstete Olga sehr. Sie verhielt sich still und wartete darauf, dass Ilja bald selbst auftauchen würde. Weiter dachte sie nicht, ihre Gedanken reichten nur bis dahin. Das genügte.
Olgas Gesundheit stabilisierte sich, sie hatte wieder jede Menge Aufträge, saß zwischen Wörterbüchern und Papieren und arbeitete sogar mit größerer Freude als
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