Das gruene Zelt
interessierte sich sehr für Olga. Womöglich hätte Afanassi selbst nicht so viel über seine Tochter gewusst, hätte er nicht für Sofja all die kleinen Informationen gesammelt: Was für eine Zensur sie im Diktat bekommen hatte, in welchem Museum sie am Sonntag gewesen war.
Die Jahre vergingen, und Sofja erfuhr auch von Olgas Studium und von der frühen Heirat. Olgas missglückte Ehe hatte sie von Anfang an nicht gutgeheißen: Nein, unsere Olenka ist ihm intellektuell überlegen, sie wird einen Interessanteren finden, denk an meine Worte. Sie sollte recht behalten. Sie hatte überhaupt in allem recht. Als Olgas Unannehmlichkeiten begannen, gab Sofja ihrem Liebhaber ebenfalls den richtigen Rat: Reich deinen Abschied ein, Afanassi.
Von allein hätte er sich nicht dazu entschlossen, aber er tat es – und bewahrte seine Gesundheit. Und sein ganzes Leben wandelte sich im Grunde zum Besseren. Sehr zum Besseren.
Seinen monatlichen Besuch kündigte Afanassi Michailowitsch Sofotschka nie an. Das war zwischen ihnen nicht üblich. Sie erwartete ihn immer und verließ vor zwölf nie das Haus. Im Kühlschrank hielt sie für ihn gefrorenes Hackfleisch bereit. Rasch bereitete sie einen Teig, briet hauchdünne Eierkuchen, füllte zwei mit Fleisch und einen mit süßem Quark und rollte sie zusammen. Zu denen mit Fleisch gab es ein Glas Thymianwodka, zu dem mit Quark Tee. Alles, was sie zubereitete, schmeckte ein wenig süßlich, auch Fleisch und Fisch. Diese Süße schien nicht vom Zucker zu kommen, sondern von ihr selbst, wie der Geruch ihres Körpers, ihrer Kleidung, ihres Bettes.
Am 20. März fuhr der General zu seiner Freundin, nicht ahnend, dass es das letzte Mal war. Er wusste nur, dass seit seinem letzten Besuch bei ihr noch kein Monat vergangen war, sondern nur etwas über zwei Wochen, aber plötzlich hatte ihn Sehnsucht erfasst, und er wollte nicht länger warten. Der Bus kam nicht zu spät, die Vorortbahn war zuverlässig. Er erreichte den Rigaer Bahnhof fahrplangemäß um neun Uhr fünfzig. In seiner Siedlung war es windstill gewesen, hier auf dem Bahnhofsplatz tobte ein Schneesturm. Während Afanassi Blumen kaufte, Mimosen, legte sich der Sturm plötzlich, und die Sonne kam heraus. Er stieg in den O-Bus. Von der Zeit her war alles wie gewohnt, trotzdem war Afanassi unruhig. Wenn sie nun nicht zu Hause war? Wer weiß – vielleicht war sie zum Arzt oder einkaufen gegangen. Er tastete in der Tasche nach dem Schlüssel. Sofotschka hatte ihm schon vor langer Zeit für alle Fälle einen Schlüssel zu ihrem Zimmer gegeben. Was sinnlos war, denn er besaß keinen Schlüssel für die Wohnungstür. Ohne sie wäre er also gar nicht in die Wohnung gekommen, denn vor die Tür zur Hintertreppe war immer ein großer Haken gelegt.
Als er sich dem Haus näherte, setzte erneut Schneesturm ein. Afanassi bemerkte, dass vor dem Haus viele Menschen standen, ein Bus und mehrere PKW. Aber dieses fremde Leben ging ihn nichts an. Er stieg die Hintertreppe hinauf, klopfte an die Wand und wartete vor der Tür darauf, dass der Haken zurückgeworfen wurde. Er wartete ziemlich lange, doch niemand öffnete. Er klopfte noch einmal – er hätte doch vorher anrufen sollen. Aber Telefonate waren zwischen ihnen nicht üblich. Sofja traute dem Telefon noch von früher her nicht.
Gehe ich eben vorn rein, entschied Afanassi und lief hinunter auf den Hof.
Der Bus manövrierte sich mit dem Hinterteil vor den Eingang. Menschen mit Blumen gingen beiseite.
Ein Katafalk, registrierte Afanassi gleichgültig.
Gleich darauf durchfuhr es ihn heiß: Wer wird hier beerdigt?
Und begriff augenblicklich: Sie, Sofja Markowna.
Er schaute auf das vom Eingang am weitesten entfernte Fenster – es wurde in diesem Moment aufgerissen, wie eine Bestätigung seiner Ahnung. Aus der Tür, deren Flügel beide geöffnet waren, wurde ein Sarg herausgetragen. Nicht wie üblich mit den Füßen, sondern mit dem Kopf voran. Er kannte diesen Kopf – ein schöner Kopf, ein blassgelbes Gesicht, rot geschminkte Lippen. Und ein süßer Geruch traf seine Nase.
Der General wankte und sank langsam nieder. Irgendwer fing ihn auf. Jemand hielt ihm Salmiak unter die Nase, und er kam wieder zu sich. Die Frau, die er vor sich sah, kam ihm irgendwie bekannt vor. Von derselben Art wie Sofja Markowna – großer Kopf, große braune Augen, männlich breite Schultern. Natürlich, das war ihre Schwester Anna Markowna, Anetschka.
»Sie! Sie!«, sagte Anna Markowna zornig, aber sehr leise zu
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