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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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den sich der KGB nicht rantraut. Mit ihm kann man überhaupt nicht reden – er beweist dir alles, was er will. Da kommt keiner mit, ein Gehirn wie ein Schnellfeuergewehr. Und der daneben im karierten Hemd, der Jud Judowitsch, Lasar heißt er, der hat ein Übersetzungsprogramm entwickelt. Er ist Linguist und Kybernetiker. Daneben, im blauen Kleid, das ist seine Frau, Anna Reps, auch eine Dichterin. Keine besonders gute, finde ich.«
    »Woher kennt Artur all diese Leute?«, fragte Olga.
    »Das ist ein besonderer Kreis. Da dreht sich alles um Bücher. Der König ist ein guter Buchbinder, ihn kennen und mögen alle. Manche Gruppen haben nur über ihn miteinander Kontakt. Ein besonderer Kreis eben«, wiederholte Ilja mit Nachdruck, als erklärte dieses Wort alles.
    Da stürmte die Füchsin mit dem Schrei »Schura! Schura! Wo bleibt die Pastete?« zum Haus –, die Tür ging auf, und im Türrahmen erschien eine kräftig gebaute, rotgesichtige Frau in einem weißen Kleid, das ihr zwei Nummern zu klein war und aus allen Nähten zu platzen drohte. In den ausgetreckten Händen hielt sie ein Blech, auf dem eine dicke Bauernpastete über den Rand quoll. Quer über ihrem rosigen Unterarm leuchtete eine rote Brandwunde, und hinter ihrer Schulter schaute ein junges Mädchen hervor, ebenfalls mit rotem Gesicht, ebenfalls in einem weißen Kleid, zwei Eimer in den Händen. Olga reckte den Hals – die Eimer waren voll mit kleingeschnittenem Fleisch. Die Schaschlikjungs sprangen herbei, entrissen dem Mädchen die Eimer und verschwanden.
    »Olenka, und der Dünne da mit den schwarzen Augen, das ist der berühmte Sinko. Wir haben seine Lieder bei Boshenow gehört«, sagte Ilja.
    »Ja, ich erinnere mich, natürlich. Wunderbare Lieder.«
    »Er hat seine Gitarre dabei. Also wird er singen.«
    »Schura, stell die Pastete ab und bring den Hering. Hast du den etwa vergessen?«, schrie die Füchsin die Dicke an. Ihre spitze Nase bebte wie bei einem kleinen Tier, und Olga begriff, dass sie ihren Spitznamen 6) nicht wegen ihres Namens Jelisaweta bekommen hatte, sondern wegen dieser spitzen, lebhaften Nase, die ein Eigenleben führte. Die Dicke lief mit wackelndem Hintern ins Haus. Die Füchsin schüttelte nachsichtig lächelnd den Kopf – was für eine schwerfällige und ungeschickte Helferin! Das Mädchen in Weiß trat zur Füchsin und sagte leise etwas zu ihr, doch die wehrte ab:
    6) Im Original Lissa von lissiza – dt. Füchsin. Anm. d. Ü.
    »Du sollst hier helfen. Die Sülze fehlt noch!«
    Da rannte auch die Junge ins Haus.
    König Artur hievte sich endlich aus seinem Liegestuhl und setzte sich an den Kopf der Tafel. Dort standen sein Sessel mit der verbundenen Armlehne und ein Thonet-Stuhl. Ein Mädchen mit ausdrucksvollem orientalischem Gesicht, großen Augen, vollen Lippen und runden Nüstern, mit kurzen Haaren, in weißen Jeans und weißem T-Shirt setzte sich neben Artur auf den Stuhl. Er legte ihr den Arm um die Schultern.
    »Was für eine stilvolle Braut«, flüsterte Olga Ilja zu.
    »Nein, das ist Lena Wawilon, sie hat mit Artur nichts zu tun. Sie ist Ossetin, hat am Institut für orientalische Sprachen studiert, eine Spezialistin für kaukasische Sprachen. Und Persisch. Die Braut hab ich selber auch noch nie gesehen.«
    In diesem Moment trat die Füchsin zu der Ossetin und zog ihr den Stuhl weg.
    »Lena, räum den Platz.«
    Lena war kein bisschen verlegen.
    »Kommandier mich nicht rum, Füchsin.«
    »Und du setz dich nicht auf einen fremden Platz, der gehört der Braut!«, schrie die Füchsin zänkisch, und Lena drehte den Stuhl mit der Lehne zum Tisch und setzte sich auf Arturs Schoß.
    Er schien nichts dagegen zu haben.
    »Schura, wir fangen an! Komm zu Tisch!«, rief die Füchsin, die Haustür ging auf, und Schura erschien, ein Handtuch in der Hand.
    »Ich komme!« Sie trocknete sich im Laufen die Hände ab, wedelte sich mit dem Handtuch Luft zu und sagte leise etwas zur Füchsin, aber Olga hörte es trotzdem.
    »Lisotschka, sag Mascha, wo sie sich hinsetzen soll, du weißt doch, sonst setzt sie sich nicht.«
    Mascha trug auf jeder Handfläche eine Schale mit Hering.
    Schura ging zu dem Thonet-Stuhl, drehte ihn zum Tisch, hängte das Handtuch über die Lehne und ließ sich schwerfällig nieder. Sie war also die Braut. Lena Wawilon war inzwischen von Arturs Schoß verschwunden. Schuras Frisur war in Unordnung – sie war früh am Morgen beim Friseur gewesen, dort hatte man ihr Schäfchenlocken verpasst, deshalb hatte die

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