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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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verkünden.«
    Tatsächlich. Die kurze Pause, in der die Gäste einträchtig Schaschlik mampften, ging zu Ende. Als die Füchsin mit dem Schaschlik fertig war, schwenkte sie den leeren Spieß.
    »Kinder, ich verabschiede mich von euch. Das war’s, ich gehe ins Land der Finnen! Und des weißen Schweigens. Ihr kotzt mich einfach alle an.« Sie kicherte mit zuckender Nase. »Aber ich liebe euch abgöttisch. Denkt dran, ich werde wiederkommen und euch aufspüren! Vor mir könnt ihr nichts verbergen! Ich bin nicht der KGB! Ich bin meine eigene Agentin! Dass mir keiner den König kränkt! Und auch Schurka nicht. Sie ist ein Kalb, aber ein guter Mensch. Sie füttert und kuriert jedermann wie der Doktor Aibolit. Sie ist Krankenschwester. Eine Spritze, ob in den Arsch oder in die Vene – bitte sehr, jederzeit! Aber – keine Belästigungen! Das kann sie nicht ausstehen. Null Hormone. Die hab alle ich abgekriegt! Ein ideales Paar – zwei Impotente!«
    Erschlafft hängte sie sich an Arturs Hals und heulte wie ein Bauernweib los:
    »Ach, mein guter Mann, mein Armer du! Mein Impotentuschka! He, was grinst ihr so? Er ist der Beste von allen! Wenn ihm der Schwanz noch stehen würde, wäre er einfach unbezahlbar!«
    Geduldig und nachsichtig ließ der König das Geheul seiner Exfrau über sich ergehen. Er zeigte nicht die geringste Reaktion auf die für jeden Mann tödlich beleidigende Enthüllung und überragte alle, an Körpergröße wie an Würde; Impotenz war im Kreis all der sexuell aktiven und leidenden, verliebten, geliebten und ungeliebten Männer und Frauen sogar ein Privileg.
    Wirklich ein König, dachte Olga.
    Schura und Mascha flohen vor der Schande ins Haus, in die Küche. Schura heulte, ihre Tochter tröstete sie.
    »Ach, Mama, du kennst doch die Tante. Wenn sie weg ist, wird alles gut!«
    Mascha pfiff auf diese ganze hauptstädtische Bande, sie hatte ihren eigenen Lebensplan – sich in Moskau niederlassen, einen Mann mit Wohnung heiraten und studieren. Sie war genauso zielstrebig wie ihre Tante, nur von gröberer Art.
    Die Feier kam in Schwung. Die große Flasche Absolut-Wodka aus dem Devisenladen war binnen Minuten geleert, aber der Selbstgebrannte in Dreilitergläsern, bei der Nachbarin gekauft, ging nicht aus. Der saure bulgarische Gamza in den schönen bauchigen Flaschen mit Korbgeflecht fand wenig Anhänger, ganz im Gegensatz zum billigen Portwein, von dem bereits ein ganzer Kasten ausgesüffelt worden war. Auf einem ans offene Fenster geschobenen Tisch stand ein Ampex-Tonbandgerät, eine Trophäe des Königs von seiner letzten Auslandsroute, und verströmte machtvolle und wunderschöne Bebop-Musik, und das passte in keiner Weise zusammen: das amerikanische Tonbandgerät, ein Exot, ein Kunstwerk, Traum eines jeden Jungen, die raffinierte fremde Musik und die absurde betrunkene Hochzeitsgesellschaft im zarten Junigrün, bei der nichts fehlte, bis auf das Wichtigste: die gegenseitige Liebe zwischen Mann und Frau. Bald war das Tonbandgerät erschöpft, zischte noch ein wenig und verstummte.
    Da griff Sinko zur Gitarre, und alle scharten sich um den Musiker. Er ließ die schmalen Finger mit den langen, zum Teil abgebrochenen Nägeln über die Saiten gleiten, und die Gitarre gab ein feminines Gurren von sich, er berührte erneut die Saiten, und wieder antwortete ihm die Gitarre.
    »Als ob sie miteinander reden!« Olga war begeistert. Ilja legte den Arm um sie, und sie freute sich – sie saßen schon ein paar Stunden am Tisch, und sie hätte Ilja so gern berührt, um dieses »Körpergefühl« wieder zu spüren, das sich schon verflüchtigen wollte … Doch als erste seine Hand oder seine Schulter zu berühren genierte sie sich. Aber nun hatte er sie berührt, und das war der Beweis dafür, dass alles noch da war.
    »Hast du ihn noch nie live gehört?«
    »Nein, nur Aufnahmen.«
    »Na, das ist etwas ganz anderes. Er ist wirklich ein Künstler. Die Lieder von Galitsch singt er besser als Alexander Arkadjewitsch selbst.«
    Die Füchsin sollte noch am selben Abend nach Helsinki abreisen. Mit dem Zug. Um halb zehn ging Sergej Tschernopjatow, der den ganzen Abend ein Auge auf sie gehabt hatte, zu ihr, legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte:
    »Es ist Zeit, Füchsin. Wir fahren.«
    Die Füchsin schien in sich zusammenzufallen, ging mit Tschernopjatow ins Haus, und kurz darauf kamen sie mit einem Koffer wieder heraus. Tschernopjatow sollte die Füchsin zum Leningrader Bahnhof fahren, das war so abgesprochen. Alle

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