das gutenberg-komplott
ihm schon vorhin aufgefallen, aber er hatte der Tats a che kein Gewicht beigemessen.
»Was heißt das?«
»Das ist eine besondere Methode, ein Buch herzustellen. Stellt Euch vor, jemand hat die Umrisse eines Heiligen auf ein Blatt Papier oder Pergament gemalt. Jetzt geht er hin und übe r trägt seine Darstellung seitenverkehrt auf eine ebene Holzpla t te.«
»Weshalb seitenverkehrt?«
»Er nimmt sich ein Schnitzmesser und entfernt alles, bis auf die Linien, aus denen das Bild besteht: Sagen wir also, man sieht die Umrisse des Heiligen. Unser unbekannter Künstler bestreicht die Linien, die erhöht aus der Holzplatte hervortreten, mit schwarzer Farbe und presst die Platte auf ein Stück Papier. Dort erscheint ein Abdruck des Bildes: nicht seitenverkehrt, sondern so, wie es auf der Vorlage aussah. Und auf diese Art kann man vom Heiligen Christopherus, vom Heiligen Martin oder der Jungfrau Maria in kürzester Zeit mehr Bilder produzi e ren als zehn Maler das von Hand in der gleichen Zeit tun kön n ten. Kein schlechtes Geschäft übrigens!«
»Ich habe von diesen Büchern gehört«, sagte Katharina, » a ber noch nie eins gesehen.«
»Die Technik gibt es schon länger«, sagte Thomas. »Man kann auf diese Art viele, fast identische Exemplare eines B u ches herstellen. Man trägt so lange neue Farbe auf und stellt Abzüge her, bis der Holzstock bricht oder die Buchstaben nicht mehr leserlich sind. Leider nutzt sich Holz schnell ab.«
Er merkte, dass das Thema sie interessierte. »Es gibt also i r gendwo Bücher«, sagte Katharina, »die diesem hier gleichen wie ein Ei dem andern? Und bei all diesen Büchern sehen die Illustrationen, die Initialen, die Buchstaben sich zum Verwec h seln ähnlich? Eine verrückte Vorstellung, fast ein wenig b e ängstigend! Für mich war ein Buch immer etwas Einmaliges, Besonderes. Ich weiß, dass man Münzen mit Hilfe von Präg e stempeln vervielfältigen kann. Und im Tuchgewerbe, in Fla n dern und England, soll es große Hallen geben mit Webstühlen, wo Frauen wie Sklaven arbeiten und Kleidungsstücke herste l len, die alle gleich aussehen. Aber ein Buch so herzustellen, dass es zum Massenartikel wird – der Gedanke erschreckt mich!«
So ähnlich war es Thomas gegangen, als er zum ersten Mal von der neuen Methode gehört hatte. »Andererseits ist die Idee faszinierend«, sagte er. »Man muss sich doch nur einmal in den großen Städten umschauen: Der Bedarf an Büchern wird mit jedem Jahr größer, und es gibt nicht genug Schreiber, ihn zu decken.«
Katharina blätterte in dem Totentanz. »Ich frage mich nur, was an diesen Totentänzen so schön sein soll. Mich stoßen sie eher ab.« Sie betrachtete eine Illustration: Ein Skelett vollführte mit den Beinen Tanzbewegungen und hielt eine Flöte an die bleckenden Zähne des Totenschädels. Galt die Melodie, die das lebensfrohe Skelett spielte, einer jungen Frau am rechten Bil d rand? Sie hatte eine üppige Figur, war ansehnlich, nach Art wohlhabender Bürgerstöchter gekleidet und wirkte wie das pra l le Leben selbst.
»Man will uns erinnern«, sagte Thomas, »dass der Tod unser heimlicher Begleiter ist – wenn wir am wenigsten mit ihm rec h nen, steht er bereit und kann uns rufen!«
»Eine unerträgliche Vorstellung!« Katharina blätterte weiter. Das Skelett war musikalisch und wechselte das Instrument, war mal mit einem Dudelsack zu sehen, mal mit einer Geige, dann wieder mit einer Trompete; ebenso wechselten die Figuren am rechten Bildrand, ein reicher Kaufmann war zu sehen, ein Bet t ler, ein König, eine Nonne: Die Melodie galt allen!
Der Text, in deutscher Sprache gereimt, sprach davon, dass der Tod ohne Ansehen der Person oder des Standes seine Ernte hielt.
»Ich wusste gar nicht, dass sich meine Schwester mit so was beschäftigte«, sagte Katharina. »Sie war immer so … voller Leben!« Dann stutzte sie: »Das ist aber von Hand geschri e ben!« Sie zeigte auf ein paar Worte am Rand einer Seite. Neben dem tanzenden Skelett zeigte die Abbildung einen Schreiber, er stand am Pult und kopierte ein Buch, den Kopf nach vorn g e beugt, eine Feder in der Hand; neben dem Buch, in das er schrieb, befand sich ein Tintenhorn, rechts von der Abbildung standen zwei Worte.
Katharina versuchte sie zu entziffern. »Schwarze Kunst!«, buchstabierte sie unsicher. Dann schaute sie überrascht auf.
»Ist das die Schrift Eurer Schwester?«, fragte Thomas.
»Ganz ohne Zweifel.«
Sie schauten wie gebannt auf die beiden Worte. »Die
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