Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das hätt' ich vorher wissen müssen

Das hätt' ich vorher wissen müssen

Titel: Das hätt' ich vorher wissen müssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
versprühte.
    »Scheiße!« sagte er kurz und bündig, worauf er in meiner Achtung stieg. Dann ordnete er noch an, daß man mir morgen die Schläuche ziehen und in zwei Tagen »Gehstöcke« bringen solle. Das klang wohl weniger nach Invalidität als die gebräuchliche Bezeichnung »Krücken«.
    Steffi war gerade da, als sie hereingestellt wurden. Nur stimmten die Proportionen nicht. Ich hätte ein Zweimeterweib sein müssen.
    »Kein Problem, die Dinger sind verstellbar.« Stefanie kannte sich mit Krücken aus, immerhin hatten die sie ein Vierteljahr ihres Lebens begleitet. Sie schraubte und drehte, besser gesagt, sie versuchte es, aber die eingerosteten Metallteile ließen sich nicht bewegen.
    »Ich tausche sie um«, sagte sie und ließ mich, die ich in Erwartung neugewonnener Beweglichkeit schon aus dem Bett gestiegen war, einfach stehen. Endlich kam sie zurück, in einer Hand die alten Krücken, in der anderen eine Zange. »Von deiner Krankenkasse haben sie bloß noch die hier.«
    »Was soll das heißen ›von meiner Krankenkasse‹? Im Verbandszimmer stehen mindestens ein halbes Dutzend Paar.«
    »Hab ich auch gesehen«, bestätigte meine Tochter, »aber die Schwester sagt, die sind von anderen Krankenkassen. Du bist eben in der falschen.«
    »Und wodurch, bitte sehr, unterscheiden sich die Krücken?«
    »Sie haben verschiedenfarbige Klebestreifen am Griff.«
    »Ach so.« Ich nahm mir vor, unsere Kasse von den antiquierten Gehstöcken des Kreiskrankenhauses zu unterrichten und sie auf die zweifellos kostspieligen Folgeschäden hinzuweisen, die beim Zusammenbrechen eines dieser angerosteten Gestelle entstehen würden. Vielleicht würde man dann doch die Lieferung neuerer Modelle erwägen.
    Nachdem ich nicht mehr auf Roland und den Rollstuhl angewiesen war, wurde ich unternehmungslustig. Ich wagte mich manchmal in die Eingangshalle, wo es Sessel gab, einen Kiosk und endlich mal andere Gesichter.
    Meine Lieben suchten mich schon gar nicht mehr im Zimmer, sie kamen gleich in die Raucherecke. Da war es sowieso viel unterhaltsamer. Seit neuestem wurde sogar ein Bett hergefahren, belegt von einem Patienten mit angeknackster Wirbelsäule, der zu zwei Monaten Rückenlage auf einem Holzbrett verdonnert war. Allerdings scherte er sich einen Deibel um ärztliche Anordnungen und drehte sich sofort auf die Seite, sobald Roland nicht mehr zu sehen war.
    Dann gab es noch Alwin, der – bereits im Flügelhemdchen und mit Häubchen auf dem kahlen Schädel – der Schwester entwischt war, um vor der Operation noch schnell eine Zigarette zu rauchen. Entsetzt kam sie hinterhergelaufen, wobei sie wohl weniger die Flucht als solche störte als vielmehr die unsittliche Bekleidung ihres Schützlings. Mit dem Tischtuch bedeckte sie notdürftig seine Blöße und führte ihn zurück.
    Alwin war auch später noch ein unerschöpfliches Gesprächsthema. Seine geistigen Fähigkeiten waren weit weniger entwickelt als seine physischen, und die wiederum schienen auf einen einzigen Körperteil fixiert zu sein. Sobald seine Frau erschien, die Helene hieß und auch genauso aussah, verschwanden die beiden auf der Toilette, dem einzigen Raum, in dem man hier mal allein sein konnte. Erst nach geraumer Zeit tauchten sie wieder auf, Alwin sehr zufrieden, die Gattin verlegen am Rockbund nestelnd. Eines Tages wurden sie von der Oberschwester in flagranti ertappt, worauf Alwin seine drei Karstadt-Tüten packen mußte und sich zur weiteren Behandlung nur noch in der Ambulanz einfinden durfte. Ob ich wohl Rolf auch zu einem Schäferstündchen animieren konnte?
    Anderthalb Wochen hing ich schon hier herum, durfte aufstehen, wann ich wollte, durfte herumlaufen, durfte mir dreimal täglich eine Spritze in die Bauchdecke geben lassen, damit ich keine Thrombose bekam (als ich entlassen wurde, sah mein Bauch aus wie die Landkarte von Spanien – braun, gelb und grün), durfte im Schwesternzimmer Kaffee trinken… bloß nach Hause durfte ich nicht. Da gab es nämlich keine Folterkammer.
    So wurde die Gymnastikabteilung genannt, in die jeder Unfallpatient gescheucht wurde, sobald er die Zehenspitzen über die Bettkante schieben konnte. Wenn es sein mußte, wurde man auch im Rollstuhl hingekarrt.
    Die Folterkammer lag im Keller, wahrscheinlich deshalb, damit die Schmerzensschreie gequälter Opfer nicht nach draußen drangen. Im allgemeinen fing die tägliche Prozedur ganz harmlos an. Mit den Füßen mußte ich einen Gummiball hin- und herrollen, mußte die Beine heben

Weitere Kostenlose Bücher