Das hätt' ich vorher wissen müssen
als Lagerhäuser, Schuppen, Fabrikgebäude und die tristen Fassaden dreißig Jahre alter Sozialbauten. In Bahnhofsnähe dann das Hotel mit Blick auf eine vierspurige Schnellstraße. Ähnlich anheimelnd das Plastikmobiliar des Zimmers. Sogar die Blumenvase war aus Kunststoff.
Die Zeit reichte gerade noch für einen schnellen Kostümwechsel, dann saßen wir wieder im Auto.
»Da hätte ich nie hingefunden!« sagte Steffi überzeugt, nachdem Herr Adler in die siebenunddreißigste Querstraße eingebogen war und vor der Buchhandlung stoppte. »Warum sind die Städte hier bloß so fürchterlich groß?«
Im Geschäft herrschte emsiges Treiben. Die Stühle, Leihgabe des evangelischen Gemeindehauses und bis eben noch für den Konfirmandenunterricht gebraucht, standen auf einem Lastwagen vor der Hintertür.
»Na, dann wollen wir mal!« Herr Adler griff mit zu, Steffi krempelte sich die Ärmel hoch, und ich hatte auch keine Lust, tatenlos mitten im Weg herumzustehen. Da es noch einen Herrn Haselmann gab und die Eltern Haselmann und die Teenager Haselmann, waren wir mit dem Aufbau schnell fertig. Selbst unter Berücksichtigung der anwesenden Haselmänner sowie der zwei Angestellten, die zusammen schon anderthalb Stuhlreihen besetzen würden, kamen mir die bereitgestellten Plätze entschieden zuviel vor. »Die kriegen wir ja nicht mal zur Hälfte voll.«
»Warten Sie’s ab!«
Die letzten zehn Minuten, bevor man raus muß, sind immer die schlimmsten. Man sitzt irgendwo in einem Hinterstübchen, hält sich an der Teetasse fest, raucht eine Zigarette nach der anderen, memoriert noch einmal die Begrüßungsworte, und zwischendurch wird man informiert, ob überhaupt, und wenn ja, wie viele Besucher schon gekommen sind. Ist die erwartete Mindestzahl noch nicht erreicht, wird der Beginn hinausgezögert. In einem kleinen Nest habe ich einmal zwanzig Minuten später angefangen, weil die Buchhändlerin der Ansicht gewesen war, man müsse den politisch Interessierten noch Zeit lassen für die Tagesschau. Danach kämen sie bestimmt.
Offenbar waren Frau Haselmanns Kunden bereit, heute mal auf Herrn Köpcke zu verzichten. Fünf Minuten vor acht signalisierte sie volles Haus, drei Minuten vor acht zog sie mir den Stuhl weg, weil er gebraucht wurde. Punkt acht wurde die letzte Zuhörerin von Herrn Haselmann auf ihren Platz geleitet. Es handelte sich um eine blinde alte Dame, die er abgeholt hatte und später auch wieder nach Hause bringen würde. Schon vorher hatte er mich gebeten, ein bißchen in ihre Richtung zu sprechen. »Ich werde sie zwar ganz nach vorne setzen, aber sie hört leider nicht mehr sehr gut.«
Nach einem letzten Blick auf die vollen Stuhlreihen gab Frau Haselmann das Startsignal. »Sie können anfangen. Wenn jetzt noch jemand kommt, müssen wir ihn ins Schaufenster setzen.«
Nie wieder habe ich vor einem interessierteren und begeisterungsfähigeren Publikum gelesen! Mehrmals war ich gezwungen zu unterbrechen, weil ich von seinem Lachen angesteckt wurde, ins Schwimmen kam und den Absatz noch einmal von vorne beginnen mußte. Ich war richtig froh, als ich nach einer Dreiviertelstunde eine Pause machen konnte.
»Das halten wir immer so«, hatte Frau Haselmann gesagt. »Die Nikotinjünger können vor der Tür ihre Zigarette rauchen, die anderen sich die Füße vertreten. Und frische Luft kommt auch wieder in den Laden.«
Bis zur Tür schaffte ich es erst gar nicht. Ein bärtiger Mann mit der Figur eines Preisringers baute sich vor mir auf, zückte seinen Fotoapparat und bat um die Erlaubnis, einige Bilder machen zu dürfen.
Aha, Presse ist also auch da, dachte ich und setzte ein professionell sein sollendes Lächeln auf. Es nützt aber nie, weil ich damit auf allen Fotos gleich dämlich aussehe.
»Ich bin in Vertretung meiner Mutter hier, die leider zur Kur mußte und sehr bedauert, Ihnen nicht selbst guten Tag sagen zu können. Sie kennt Sie nämlich von früher her.«
»Wie heißt denn Ihre Mutter?«
»Karin Titze.«
Eine Karin Titze kannte ich nicht, konnte mich auch nicht erinnern, jemals eine gekannt zu haben. »Wo sollen wir uns denn begegnet sein?«
»In der Grundschule.«
»Unmöglich! Das würde ich wissen.«
»Damals hieß sie auch noch Hesse.«
Meine Güte, hätte er das nicht früher sagen können? Natürlich kannte ich Karin, so ein schmales Handtuch mit blonden Haaren, das im Alphabet immer vor mir drangekommen war. Unvorstellbar, daß dieser Kleiderschrank von Mann ihr Sohn sein sollte.
Unter
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