Das hätt' ich vorher wissen müssen
reger Anteilnahme des halben Auditoriums ließ ich mir von Karins Wohlbefinden erzählen, und dann war die Pause schon wieder vorbei.
Ein einziges Kapitel hatte ich noch lesen wollen, es wurden drei, und danach war noch immer kein Ende abzusehen. Jetzt kamen die Fragen. Steffi stand hinten Rede und Antwort, ich vorne. Zwischendurch schrieb ich Autogramme in hingehaltene Bücher, begleitet vom so angenehm klingenden Scheppern der Ladenkasse. Sogar die blinde Dame kaufte ein Exemplar und bat um eine Widmung »Für Annemarie«. »Das ist die Studentin, die mir immer vorliest.« Einen Moment zögerte sie, dann tastete sie nach meiner Hand und drückte sie kräftig. »Würden Sie mir wohl verraten, was mein Liebling Sascha jetzt macht? Ich mag diesen Jungen ganz besonders gern.«
»Sie kennen ihn ja auch nur von weitem«, lachte ich, »aber ich kann Ihnen versichern, daß es ihm wahrscheinlich besser geht als uns allen zusammen. Er sitzt nämlich im Warmen irgendwo zwischen Tahiti und Bangkok.«
»Ach«, staunte sie, »macht er gerade Urlaub?«
»Ich würde es ja so nennen, er streitet das allerdings ab. Zur Zeit arbeitet er als Steward auf einem Kreuzfahrtschiff.«
Das hätte ich lieber nicht erzählen sollen. Auch die schon im Aufbruch begriffenen Besucher kehrten an der Tür wieder um, und die Autorenlesung endete mit einer Debatte über die Vor- und Nachteile der christlichen Seefahrt.
Es war schon nach elf, als Frau Haselmann endlich abschließen konnte. »Ich dachte, die gehen überhaupt nicht mehr! Dabei habe ich solch einen Hunger.«
Die Haselmänner, ein paar Freunde des Hauses sowie die Autorin samt Anhang verteilten sich auf die vorhandenen Autos, der Konvoi setzte sich in Bewegung und hielt erst irgendwo außerhalb, wo es dunkel, kalt und ungemütlich war. Nie hätte ich hier ein Restaurant vermutet und schon gar kein italienisches.
»Ist wohl wieder ein Geheimtip?« vermutete Herr Adler, was ihm auch sofort bestätigt wurde.
Man hatte bereits auf uns gewartet. Offenbar schon ziemlich lange, aber trübsinnig geworden war nur das Grünzeug auf den Vorspeisetellern. Wir tranken auf den gelungenen Abend, auf die nächste Lesung, auf mein nächstes Buch, auf das nächste Wiedersehen – und als wir genug getrunken hatten, war es halb drei.
»Jetzt bestelle ich ein Taxi«, entschied Herr Adler, als es nun wirklich nichts mehr gab, worauf wir hätten anstoßen können. Den letzten Toast hatte sein Hängebauchschwein Berta abgekriegt, das er sich aus Gründen des Umweltschutzes als Müllverwerter zugelegt hatte. »Ich setze mich nicht mehr ans Steuer!«
»Aber ich«, sagte Stefanie, auf die Batterie Colaflaschen vor ihrem Platz deutend, »vorausgesetzt natürlich, Sie trauen mir zu, Ihren Schlitten heil nach Hause zu bringen.«
So ganz sicher war er sich wohl nicht. »Der ist hinten ein ganzes Stück länger als Ihr Wagen.«
»Dafür ist er vorne kürzer«, entschied meine Tochter. »Soll ich nun, oder soll ich nicht?«
Es siegte die Bequemlichkeit. Die Aussicht, morgen eine Stunde früher aufstehen und den Wagen holen zu müssen, schien Herrn Adler noch mehr zu erschrecken als die Möglichkeit, im Straßengraben zu enden.
»Da bin ich noch nie gelandet«, widersprach Steffi. »Ich hab zwar schon mal eine Straßenlaterne angekratzt und einen Wegweiser mitgenommen, aber noch kein fremdes Auto kaputtgefahren.«
»Dann versprechen Sie mir, heute nicht damit anzufangen.«
Steffi versprach es. Und weil man sich darauf verlassen kann, daß sie ihre Versprechen hält, brachte sie uns unversehrt ins Hotel. Das knirschende Geräusch beim Einparken stammte von der Glasscherbe, die sie überfahren hatte, und die wirklich nur winzig kleine Beule in der Stoßstange war schon vorher dagewesen, das hatte sie ganz genau gesehen!
21
Von nun an mußten wir uns allein durchwursteln. Nach dem Frühstück hatte sich Herr Adler verabschiedet, nicht ohne uns vorher genau zu erklären, wie wir an unser nächstes Ziel kämen.
Voerde. Ich hatte schon mal von dieser Stadt gehört, sie in Niedersachsen eingeordnet und erst auf der Karte gesehen, daß sie dicht vor der holländischen Grenze liegt. Auf Signiertourneen lernt man nicht nur seine Leser kennen, sondern auch sein Heimatland.
Wo das Ruhrgebiet nicht mit Abraumhalden, Zechen und Großstädten vollgepflastert ist, gibt es Autobahnen. Und Schnellstraßen. Und Zubringer zu den Autobahnen. Und Baustellen, aus denen Zubringer für die Zubringer zu den Autobahnen werden
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