Das hätt' ich vorher wissen müssen
nach der anderen signalisierte durch vorgelegte Ketten, daß sie besetzt war. Immer weiter tauchte ich in das Tunnelsystem ein, bezweifelte allmählich, jemals wieder herauszufinden, sah keinen Menschen, sah kein Auto, das sich von der Stelle bewegte, regungslos standen sie Seite an Seite aufgereiht, als wären sie hier unten begraben. Und genauso kam ich mir auch vor, als ich endlich in der vorletzten Box eine Schlafstelle für Goliath fand und mich auf die Suche nach der Oberwelt machte. Während meiner Fahrt durch die Katakomben hatte ich ab und zu Hinweisschilder zu Fahrstühlen wahrgenommen, doch jetzt, wo ich sie brauchte, fand ich keins. Irgendwann entdeckte ich aber doch einen Lift, ließ mich nach oben baggern und kam am äußersten Ende des Terminals heraus, dort, wo sich Postpakete und Frachtgüter stapelten.
Ein sportlicher Mensch bin ich nie gewesen, doch an diesem Tag muß ich sämtliche Rekorde gebrochen haben, die ich in der Blütezeit, meiner Schulturnstunden jemals aufgestellt hatte. Wie von Furien gejagt raste ich durch den Flughafen, rempelte Kinder an und zellophanumhüllte Blumensträuße, hetzte mit heraushängender Zunge über Laufbänder, vorbei an erstaunten und empörten Passagieren, und erweckte schließlich das dienstliche Interesse zweier Uniformierter. »Kommen Sie doch mal her!«
Auch das noch! Zuerst fiel ich einem alten Herrn in die Arme, der mein abruptes Abbremsen gerade noch abfangen konnte, dann zog mich der Polizist energisch vom Laufband. »Wohin denn so eilig?«
Dusselige Frage! »Zur Nikolausfeier«, keuchte ich atemlos, aber das hätte ich lieber nicht sagen sollen. Deutsche Beamte haben selten Humor, deutsche Polizisten noch seltener. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich die beiden Ordnungshüter davon überzeugt hatte, daß ich weder verrückt noch Terroristin war, sondern lediglich versuchte, meine Maschine zu erreichen. Zum Beweis wedelte ich mit der Bordkarte.
»Wann fliegt sie denn ab?«
»Acht Uhr zehn.«
»Na, dann beeilen Sie sich mal!«
»Was glauben Sie wohl, weshalb ich so gerannt bin?«
Ich setzte zum Endspurt an, aber der nützte nun auch nichts mehr. Die junge Dame im adretten Dunkelblau klappte gerade die Puderdose zu, in deren Spiegel sie ihr Aussehen überprüft hatte, als ich hechelnd heranstürzte. »Ist die Maschine schon weg?«
Ein kurzer Blick auf die Bordkarte genügte, dann zeigte die Dunkelblaue auf das rückwärtige Fenster. »Da unten rollt sie.«
Ich fiel auf den nächsten Stuhl. Aus der Traum! Da hat man zum erstenmal im Leben einen wirklich wichtigen Termin, genaugenommen sogar mehrere, war vom Tag seiner Geburt an ein pünktlicher Mensch gewesen, würde vermutlich auch nicht außerhalb der ärztlichen Sprechstundenzeiten sterben, und nun das! »Was mache ich denn jetzt?«
»Am besten gehen Sie zum Schalter und lassen sich auf die Warteliste setzen. Die nächste Maschine nach Berlin geht in neunzig Minuten, ist aber selten ausgebucht. Vielleicht haben Sie Glück.«
»Und was ist mit meinem Koffer?«
»Der wird wohl gerade über den Main fliegen.«
Wie tröstlich, daß wenigstens einer von uns beiden pünktlich ankommen würde.
Nachdem die Formalitäten erledigt waren und ich ganz oben auf der Warteliste stand, weil es noch keinen weiteren Interessenten gab, setzte ich mich ins Restaurant und schüttete literweise Kaffee in mich hinein, immer den Blick auf der großen Uhr, deren Zeiger sich quälend langsam weiterbewegten. Zwanzig Minuten vor dem Start sollte ich noch einmal nachfragen, aber schon eine Viertelstunde früher stand ich wieder vor dem Schalter. »Klappt es?«
Es klappte. Wenn nun die Maschine pünktlich landete, wenn ich schnell meinen hoffentlich sicher deponierten Koffer fand, wenn ich gleich ein Taxi bekam, wenn wenigstens jede zweite Ampel grün war und auf dem Kudamm nicht gerade wieder eine Demonstration stattfand, dann, aber auch nur dann konnte ich es vielleicht noch schaffen.
Fünf vor elf stellte der Taxifahrer mein Gepäck auf die Straße. Ich nahm mir nicht einmal Zeit, mich ein bißchen umzusehen, ich wunderte mich nur, daß ein Viersternehotel nicht mal einen Pagen zum Koffertragen hatte. Was soll’s? Selbst ist die Frau! Warum schwafeln wir auch immer von Emanzipation? Eine Frau, die intelligent sein will, fordert die Gleichberechtigung; eine Frau, die intelligent ist, tut es nicht. Ein Glück, daß ich mangels entsprechender Garderobe nicht mit einem Schrankkoffer reisen mußte.
Nachdem der
Weitere Kostenlose Bücher