Das hätt' ich vorher wissen müssen
Goldbeknopfte an der Rezeption zum drittenmal die Liste mit den vorbestellten Zimmern durchgegangen war und meinen Namen nicht gefunden hatte, kam mir endlich die Erleuchtung. »Sehen Sie doch mal unter Sanders nach.«
Erst guckte er mißtrauisch, dann fing er von vorne an. »Ah ja, hier ist es. Nummer 306.« Er wandte sich zum Schlüsselbrett, stutzte und drehte sich mit bedauernder Miene wieder zu mir um. »Offenbar ist das Zimmer noch nicht fertig. Würden Sie bitte in der Halle Platz nehmen? Ich lasse Sie sofort benachrichtigen, wenn es verfügbar ist.«
Das fehlte mir gerade noch. Ich brauchte dringend ein Waschbecken, von der in diesen Räumen üblichen anderen Installation ganz zu schweigen, denn der viele Kaffee machte sich bemerkbar, ich brauchte meinen Lippenstift, und kämmen sollte ich mich auch mal. Schön, ein Waschraum ließ sich wohl irgendwo finden, andererseits mußte ich meinen Koffer bewachen, auf den mir unbekannten Herrn Kronenburger lauern, der schon längst hätte dasein sollen, und wo war überhaupt mein Anstandswauwau, der mich hier in Empfang nehmen wollte? Ich begab mich wieder an die Rezeption. »Würden Sie mich bitte mit dem Zimmer von Frau Schöninger verbinden?«
Erneuter Blick in die Liste. »Die Dame ist noch nicht eingetroffen.«
Nun reichte es mir. Klappte denn überhaupt nichts? Kleinlaut suchte ich den strategisch günstigsten Sessel, von dem aus ich sowohl die Rezeption als auch den Eingang im Auge behalten konnte, bestellte den ich weiß nicht wievielten Kaffee dieses Tages und wartete.
Ein Mann mit Bürstenhaarschnitt und Diplomatenköfferchen stolperte durch die Drehtür. Ob das eventuell Herr Kronenburger…? Dann verlor er seinen Regenschirm, und da Reporter solch ein Utensil niemals mit sich führen, war ich beruhigt. Der war’s also nicht.
Zwanzig nach elf. Eine Dame in Weiß betrat das Vestibül. Spätes Mittelalter, Intelligenzlerbrille, sehr selbstbewußtes Auftreten. Frau Schöninger? Sie würdigte aber niemanden eines Blickes und schritt geradewegs zum Lift. Also war sie’s doch nicht. Die nächste konnte ich auch gleich abhaken. Zu jung, zu dick, auch wenn der schwarze Lodenumhang das erhebliche Übergewicht geschickt kaschierte, und viel zu quirlig. Ich steckte mir die vierte Zigarette an, drückte sie aber sofort wieder aus, als die schwarze Kugel auf mich zugeschossen kam. »Frau Sanders?« Und als ich stumm nickte: »Es tut mir so leid, daß Sie warten mußten, aber ich komme direkt aus Wien über München, und von da ist noch nie eine Maschine pünktlich gelandet. Es ist mir sowieso rätselhaft, wie etwas, das 900 Kilometer in einer Stunde fliegt, Verspätung haben kann. Sie müssen ja inzwischen Wurzeln geschlagen haben.«
»Dazu hatte ich noch keine Zeit. Ich hab nämlich auch mein Flugzeug verpaßt.«
Wir sahen uns an und fingen laut an zu lachen. Frau Schöninger war mir auf Anhieb sympathisch, zumal sie jetzt eine rege Tätigkeit entwickelte. Mein Zimmer war noch immer nicht fertig, aber ein Page erbarmte sich meines Koffers und verstaute ihn in einer Kammer, ein zweiter brachte mich zum Waschraum, und als ich zwar nicht schöner, aber zumindest frisch restauriert wieder in die Halle kam, hatte Frau Schöninger für das bevorstehende Interview den Grünen Salon requiriert.
»Da ist allerdings schon für ein Hochzeitsessen gedeckt, aber die, Frischvermählten kommen erst um eins, und bis dahin sind wir fertig. Ich hab auch versprochen, daß wir uns nicht an den silbernen Löffeln vergreifen.« Ungeduldig sah sie auf die Uhr. »Wo bloß der Kronenburger bleibt?«
»Von mir aus braucht er gar nicht zu kommen. Ich hab nämlich einen Heidenbammel vor dem Interview.«
»Dem werden wir ganz schnell abhelfen!« Sie winkte einem Kellner, orderte eine Flasche Sekt, und als der Erwartete endlich durch die Tür fegte, hatte ich gerade das dritte Glas geleert und war bereit, es notfalls mit einer ganzen Heerschar von Reportern aufzunehmen.
Herr Kronenburger war wohlbeleibt, hatte wenig Haare, was er durch einen respektablen grauen Vollbart kompensierte, und wirkte sehr gemütlich. Seine Verspätung begründete er lapidar mit »Ich komme direkt von einer Pressekonferenz im Schöneberger Rathaus. Jetzt kann ich bloß hoffen, daß dieser Bauskandal vorübergeht, bevor ich die Zusammenhänge verstehen muß.«
Über das Interview decke ich lieber den Mantel des Schweigens. Als ich Wochen später eine Kopie der Tonbandaufzeichnung bekam und die Kassette im
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