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Das hätt' ich vorher wissen müssen

Das hätt' ich vorher wissen müssen

Titel: Das hätt' ich vorher wissen müssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Oberammergau-Bart im Gesicht und Jesuslatschen an den Füßen. Ihm gehören die Kneipe gegenüber vom Schloß und der Schlüssel vom Schloßportal. Auf welche Weise er Kastellan dieses ehrwürdigen Bauwerks geworden ist, weiß ich nicht, angeblich hatte es etwas mit der angeheirateten Verwandtschaft zu tun. Beide – sowohl Kneipe als auch Besitzer – hatte ich kennengelernt, als ich nach einem Spaziergang über die schneebedeckten Felder dort gelandet war und mich mit einem Glühwein aufwärmen wollte. In erster Linie suchte ich allerdings ein Telefon, um zu Hause anzurufen und einen Chauffeur in Marsch zu setzen, denn ich hatte meinen Wandertrieb ganz gewaltig überschätzt.
    Der Oberammergaubart überzeugte mich von der Schädlichkeit des Alkohols, der besonders morgens um elf verheerende Wirkung haben könne, und bot mir statt dessen die Auswahl unter vierzehn verschiedenen Teesorten an. Die seien bekömmlicher und würden ebenfalls wärmen. Während er einen Brombeerblütentee braute, der nicht nur wie Nagellackentferner roch, sondern auch beinahe so schmeckte, erfuhr ich Näheres über den merkwürdigen Kneipier. Er malte, dichtete, reiste viel und hatte irgendwelche Pfründe, die es ihm ermöglichten, seine Kneipe auf Kräuterteebasis und deshalb vermutlich mit Verlust zu führen. Sein Freundeskreis war groß, seine private Behausung relativ klein, und wohl aus diesem Grunde pflegte er gelegentliche Gäste im Schloß unterzubringen.
    Wenn dort mal niemand schläft, dient das Gemäuer karitativen oder kulturellen Zwecken. An den Basar, auf dem vom chinesischen Seidenteppich für 23.000 Mark bis zum laubgesägten Hampelmann so ziemlich alles angeboten worden war, erinnere ich mich noch heute. Da ein Teil des Erlöses irgendwelchen kirchlichen Organisationen zugeführt werden sollte, kaufte ich eine sündhaft teure Terrakotta-Vase, die sich später als nicht wasserdicht herausstellte und jetzt auf dem Bücherregal langsam vor sich hin staubt.
    Mindestens zweimal im Jahr wird im Schloß kammermusiziert, was bei der einheimischen Bevölkerung wenig Anklang findet, und mindestens viermal jährlich finden Ausstellungen meist unbekannter Künstler statt. Bisher hatte ich noch keine besucht, aber als ich nach der zweiten Tasse Tee das gastliche Haus verließ, war ich im Besitz einer Einladung zur Vernissage, die in der kommenden Woche sein sollte. Ein spanischer Maler (»In Deutschland hat er leider noch keinen Namen«) war es, dem der Oberammergaubart ein bißchen Starthilfe geben wollte. »Ich habe ihn vor zwei Jahren auf Lanzarote kennengelernt, ein sehr begabter Mensch.«
    Rolf war wieder mal mehrere Tage auf Tour, von meinen Nachkommen konnte ich niemanden für spanische Malerei erwärmen, alleine wollte ich aber auch nicht gehen, so bat ich eine Nachbarin um ihre Begleitung. Frau Mertens batikt und töpfert in ihrer Freizeit, also durfte ich wohl ein gewisses Kunstverständnis voraussetzen. Doch, natürlich, sie käme gern mit.
    Entgegen meiner Befürchtung, wir könnten die einzigen Kulturbeflissenen sein, herrschte in der Eingangshalle Gedränge. Ich entdeckte zwar kein bekanntes Gesicht, dafür viele späte Jugendliche mit Bart und Parka, die dazugehörigen Damen mit hüftlangen Haaren und bodenlangen Baumwollkleidern, bekordelt, beklöppelt oder bestickt. Es gab lauwarmen Sekt für drei Mark und altbackene Brezeln.
    Der Künstler war ebenfalls anwesend. Er stand auf halber Höhe der Treppe und beäugte sein Volk. Alles an ihm war grau: Haare, Bart, die Hochwasserhosen, die sackleinenartige Tunika und die zierlichen Stiefelchen. Nur seine Socken leuchteten in sattem Grün.
    Als nun wirklich niemand mehr in die Halle gepfercht werden konnte, weil wir bereits wie aufrecht stehende Sardinen zusammengepreßt waren, begann der Künstler mit seiner Eröffnungsrede. Auf spanisch. Ich verstand kein Wort, Frau Mertens auch nicht, aber es mußten doch viele sprachkundige Mitmenschen unter uns sein, denn ich sah rundherum verklärte Gesichter und häufig zustimmendes Nicken.
    Nach etwa zehn Minuten war die Ansprache beendet, worauf ein kleines Männchen vortrat, sich als vierter oder fünfter Botschaftssekretär vorstellte und anhub, die Worte seines Vorredners ins Deutsche zu übersetzen. Wenigstens machte er es kurz. Der Maler habe in seinem Heimatland schon beachtliche Erfolge erzielt und sei dank seines Gönners – lebhaftes Klatschen des Auditoriums – nun auch in der Lage, seine Werke dem deutschen Publikum

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