Das hätt' ich vorher wissen müssen
kann.
Jahrelang bekam ich Urlaubsgrüße von meinem jugendlichen Verehrer, jedesmal einen langen Brief, sobald er das neueste Buch von mir gelesen hatte, und eines Tages fragte er höflich an, ob er mich einmal besuchen dürfe.
Nun sind mir schon des öfteren Kurgäste ins Haus geschneit, die aus unergründlichen Quellen meine Adresse erfahren hatten, frisch onduliert und feingemacht vor der Tür standen und vermutlich ziemlich enttäuscht waren, wenn ihnen statt eines Hausmädchens mit Schürze und Häubchen eine Frau in Jeans öffnete, manchmal sogar mit Staubsauger oder Kartoffelmesser in der Hand. »Sie sind Frau Sanders??«
Zehn Minuten unverbindliches Geplauder, die erbetenen Autogramme in die mitgebrachten Bücher und meist auch noch der stürmische Auftritt eines meiner Nachkommen überzeugte die Besucher dann aber doch, selbst wenn ihre Vorstellung vom Ambiente eines Schriftstellers etwas ins Wanken geraten sein mochte.
Auf Michael war ich inzwischen schon selbst ein bißchen neugierig geworden, also lud ich ihn ein und versprach, ihn am Bahnhof abzuholen. Ganz wohl war mir nicht in meiner Haut. Wer weiß, vielleicht entsprach das Original so gar nicht dem Bild, das er sich aufgrund der Bücher von mir gemacht hatte.
Aus dem Zug kletterte ein baumlanger Kerl mit Lockenkopf, zünftigem Kleinrucksack auf dem Buckel und einem etwas scheuen Lächeln. Die Zwillinge hatten ihre Wette verloren! Schon tagelang hatten sie Vermutungen angestellt, wie unser Besucher wohl aussehen würde.
»Wetten, daß Mutti ihn feingemacht hat, so mit Bügelfaltenhose, gestärktem Oberhemd und Kulturstrick?« hatte Katja vermutet. »Zum Friseur hat sie ihn bestimmt vorher auch noch geschickt.«
Nicki war dagegen der Ansicht gewesen, er käme wahrscheinlich im Gammellook mit zerfransten Cordhosen und »irgendwas obendrüber«.
Nichts von allem stimmte. Michael trug Jeans und Sweatsshirt, benahm sich ganz ungezwungen und war zu Katjas Erstaunen »richtig normal«. »Und ich hatte geglaubt, bei dem ist irgend ‘ne Schraube locker. Wer tut denn auch so was, einfach bei fremden Leuten anrufen und sie dann anmachen?«
Jedenfalls verbrachten wir einen recht vergnügten Nachmittag zusammen, und nachdem Michael einen ganzen Film verknipst und jeden Winkel des Hauses nebst Autorin im Bild festgehalten hatte, brachte ich ihn wieder zum Bahnhof. Kurz bevor der Zug einlief, nestelte er aufgeregt an seinem Rucksack. »Jetzt hab ich doch glatt die Autogramme vergessen!«
Unter den erstaunten Blicken der Wartenden türmte er meine gesammelten Werke auf einem Gepäckkarren auf, lieh sich am Fahrkartenschalter einen Kugelschreiber, und dann signierte ich in Windeseile die Bücher.
»Das wäre vielleicht ‘ne Pleite gewesen, wenn ich ohne nach Hause gekommen wäre«, grinste er, »aber es war so nett bei Ihnen, daß ich gar nicht mehr daran gedacht habe.« Und mit einem Blick auf den Rucksack: »Dabei ist das eine ganz schöne Schlepperei. Sie haben nämlich ziemlich viel Gewicht.«
Es blieb mir überlassen, ob ich diese Feststellung auf den Inhalt meiner Bücher beziehen sollte oder nur auf deren Kilogramm.
14
Eine weitere Notwendigkeit im Leben eines Schriftstellers sind Kritiker. Guareschi, der Schöpfer des unvergessenen Don Camillo, hat einmal gesagt, ein Kritiker sei eine Henne, die gackert, wenn andere legen.
Was ist Kritik überhaupt? Doch nur die subjektive Meinung eines einzelnen, der oftmals das schlechtzumachen sucht, was ein anderer gut zu machen versucht hat.
Als mein kinderreiches Muttertum erschienen war, wartete ich wochenlang auf die hoffentlich enthusiastischen Rezensionen der Literaturpäpste. Immerhin war in verschiedenen überregionalen Zeitungen eine Anzeigenkampagne gelaufen, die meinen Erstling den künftigen Lesern bekannt- und die Kritiker auf die potentielle Bestsellerautorin aufmerksam machen sollte. Zumindest letztere nahmen nicht die geringste Notiz davon. Die erste Besprechung erschien erst ein Vierteljahr später und dann auch noch in einem norddeutschen Provinzblättchen. Außerdem hatte man lediglich ein paar Zeilen aus dem Klappentext nachgedruckt. Er versprach ein »uneingeschränktes Lesevergnügen«. Das klang genauso wie »vielseitig verwendbar« oder »garantiert pflegeleicht« und sagte rein gar nichts über den Inhalt. Auch die im Laufe der Zeit etwas zahlreicher eintrudelnden Rezensionen gaben nur in Kurzfassung das wieder, was jeder auf dem Buchumschlag ohnehin lesen konnte. Anscheinend
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