Das hätt' ich vorher wissen müssen
Zwillinge, die regelmäßigen Kontakt zu ihrer Schwester hatten, aber Steffi selbst meldete sich nie.
»Hast du etwas anderes erwartet?« fragte Rolf. »Ihren Dickkopf hat sie ja nicht von mir geerbt!«
Erstaunlicherweise nahm er die ganze Sache wesentlich leichter als ich. »Rechtlich können wir sowieso nichts mehr unternehmen, und wenn wir auf dem moralischen Aspekt herumreiten, machen wir uns nur lächerlich. Moral ist ohnehin bloß die Ausrede jener Leute, die keine Chance zur Unmoral haben.« Plötzlich lachte er. »Was meinst du? Wären wir überhaupt verheiratet, wenn es damals schon üblich gewesen wäre, ohne Trauring und behördlichen Segen zusammenzuziehen?«
»Dann hätten wir vermutlich auch keine Kinder und folglich keinen Ärger mit ihnen! Hoffentlich nimmt sie die Pille!«
Eines Tages hielt ich es nicht mehr aus und rief Steffi an. Ich wollte ihr ein Ultimatum stellen – bekanntlich die letzte Warnung, bevor man bereit ist, nachzugeben. Nein, sie denke gar nicht daran, zurückzukommen, sie stecke im Gegenteil mitten in Umzugsvorbereitungen, denn Horst habe eine größere Wohnung gefunden, ein bißchen außerhalb gelegen mit Gästetoilette und acht Meter langem Balkon.
Das klang nun überhaupt nicht nach Kapitulation. Jetzt hatte ich die Wahl: Entweder stur bleiben und mir meine Tochter entfremden, oder…
Vierzehn Tage später stand ich mit Papier und Zollstock in der neuen Behausung und nahm Maß für die Wohnzimmergardinen.
»Sooo schlimm ist der Altersunterschied ja gar nicht«, meinte Rolf auf dem Heimweg von der ersten offiziellen Einladung des jungen Paares, »wenn Steffi hundert ist, ist er auch erst hundertsiebzehn!«
Die beiden leben immer noch zusammen, immer noch ohne amtliches Zertifikat, sind immer noch glücklich und haben gerade ein zauberhaftes Haus bezogen mit großem Garten und Kamin, zehn Kilometer von uns entfernt, was die Anfahrtszeit vermindert, wenn ich mal wieder Dackel Jojo und die Wellensittiche in Pflege nehmen muß. Das mache ich sogar gerne, denn Horst Hermann ist nicht nur ein sehr umgänglicher, sondern darüber hinaus auch ein sehr talentierter Mensch, der Fensterrahmen streicht, Hecken beschneidet und sogar Wasserhähne repariert. Kostenlos, und das ist im wahrsten Sinne des Wortes viel wert. Wer nämlich nicht glaubt, daß man aus Blei Gold machen kann, sollte warten, bis er die nächste Klempnerrechnung kriegt.
15
»Haben Sie nicht mal wieder Sehnsucht nach Berlin?«
»Überhaupt nicht! Seitdem mein Vater pensioniert ist, wird er immer unausstehlicher.«
Am anderen Ende der Telefonleitung hörte ich Frau Maibach lachen. »Das ist nur in den ersten Wochen so. Später gibt sich das. Mein Vater ist seit zwei Jahren Rentner. Wenn er morgens aufwacht, hat er nichts zu tun, und wenn er abends schlafen geht, hat er kaum die Hälfte geschafft.«
Eine Weile schwafelten wir über die Vor- und Nachteile des Ruhestands, der für uns beide noch in ziemlicher Ferne lag, dann kam sie zur Sache: »Wir haben in Berlin einiges für Sie in Vorbereitung, zwei Signierstunden sowie ein Rundfunkinterview. Wollen Sie?«
Wenn sie mich so direkt fragte, wollte ich absolut nicht. Wieder auf dem Präsentierteller sitzen, wieder die ewig gleichen Fragen beantworten, wieder Cheesecake-Lächeln… Andererseits pflegt die Kosten für derartige Öffentlichkeitsarbeiten der Verlag zu tragen, bei meinem letzten privaten Besuch war das Ticket schon wieder teurer geworden (warum eigentlich? Wenn die Welt angeblich immer kleiner wird, dürften sich doch nicht dauernd die Flugpreise erhöhen?), aber den Ausschlag gab Frau Maibachs Hinweis, eine der beiden Autogrammstunden würde in Onkel-Toms-Hütte stattfinden.
»Etwa in der Ladenstraße?«
»Ja. Kennen Sie die Buchhandlung?«
»Und ob! Da hab ich meine erste Fibel gekauft und später ab und zu gegen drei alte Zeitungen ein Schreibheft ergattert. Ich wußte gar nicht, daß der Laden noch existiert.«
»Nun wird mir auch klar, weshalb Herr Holzer so großen Wert auf Ihr Kommen legt. Ich kann also zusagen?«
Eingedenk der Pannen bei meinem ersten offiziellen Flug nach Berlin war ich diesmal eine Stunde vor dem Einchecken am Schalter, erwischte nach meiner Ankunft in Tegel auch gleich ein Taxi und holte wenig später Irene aus dem Kartoffelkeller. »Wieso bist du schon da? Ich denke, du kommst erst am Nachmittag?«
»Blödsinn, um fünf muß ich bereits in der Ladenstraße sitzen.«
»Siehste, dann hatte ich doch recht! Ich hab dem
Weitere Kostenlose Bücher