Das hätt' ich vorher wissen müssen
Zigaretten gepafft, die wir euch vorher geklaut haben, und jetzt rauchen wir ab und zu mal ein Pfeifchen. Sogar bar bezahlt! Glaubst du immer noch, wir seien deshalb akut gefährdet?«
Meine Zweifel hatten sie zwar trotz ihrer Beredsamkeit nicht ausräumen können, allerdings mußte ich zugeben, daß ihre Argumente etwas für sich hatten. Besonders der Vergleich mit den Alkoholikern leuchtete mir ein. Wenn die Burschen wirklich so vernünftig waren, wie sie argumentierten, dann sollte man die ganze Angelegenheit vielleicht doch nicht aufbauschen. Sie machten auch ausnahmslos einen völlig normalen Eindruck, Nachwirkungen schien das Zeug nicht zu haben. Höchstens bei mir, ich war nämlich hundemüde.
»Also gut«, kam ich zum Schluß, »ihr habt mich zwar nicht überzeugt, weil ich immer noch finde, daß man auch ohne Hasch leben kann, aber ihr seid alt genug, eure Grenzen zu kennen. Wenn dieses »Just for fun« auf gelegentliche Ausnahmen beschränkt bleibt, lassen wir den heutigen Abend auf sich beruhen. Einverstanden?«
Und ob sie einverstanden waren! Insgeheim hatten wohl alle befürchtet, ich würde umgehend ihre Eltern verständigen, was ich vielleicht sogar hätte tun müssen, dann aber doch unterlassen habe, nachdem ich mir Sascha am nächsten Tag noch einmal unter vier Augen vorgeknöpft hatte.
»Määm, nun glaub mir doch endlich! Hältst du mich für so beknackt, daß ich mir meine ganze Zukunft versaue? Ich ackere doch nicht umsonst wie ein Kuli, um eine anständige Abschlußprüfung hinzukriegen. Und wenn du glaubst, ich könnte eines Tages auf Ätsch umsteigen, dann bist du auf dem falschen Dampfer. Ich sehe diese armseligen Gestalten doch jeden Abend rumhängen, wenn ich nach Dienstschluß in meine Bude pilgere. Geh mal nachts durch die Stuttgarter Altstadt! Oder tu’s lieber nicht, womöglich kriegste eins auf die Omme. Die Brüder schrecken doch vor nichts zurück, wenn sie den nächsten Schuß brauchen! – Nee, Määm, einen besseren Anschauungsunterricht könnte ich gar nicht haben. Mich bringt niemand dazu, eine Spritze auch nur anzufassen. Aber konzediere mir ab und zu einen Joint. Danach kann man so herrlich abschalten und meditieren.«
»Na ja«, gab ich zu, »meditieren ist immer noch besser als herumsitzen und gar nichts tun!«
Soviel zu der Vermutung, in unserer Familie gäbe es offenbar keine Probleme beziehungsweise habe es nie welche gegeben.
Dabei hatten wir mit Steffi auch welche gehabt, obwohl ich die bei ihr am wenigsten erwartet hatte. Sie ist heute noch ein Kumpeltyp, der Freunden bereitwillig bei Renovierungsarbeiten hilft, auch wenn sie die himmelblaue Tapete statt ins Schlafzimmer an die Küchenwände klebt. Sie übernimmt bei Bedarf die Betreuung von Blumentöpfen und Springmäusen, und wenn’s sein muß, kümmert sie sich auch um die bettlägerige Oma, weil die Nachbarin übers Wochenende mal zum Skilaufen fahren will. Steffi kennt garantiert jemanden, der »ganz billig« eine Hollywoodschaukel besorgen kann, ein todsicheres Mittel gegen die Ameisenplage weiß oder kostenlos ein Viermannzelt verleiht.
Ihre karitative Ader gipfelte an einem Sonntagmorgen, als ich in die Küche kam und auf dem Tisch einen Zettel entdeckte: BITTE NICHT INS WOHNZIMMER GEHEN. Natürlich ging ich schnurstracks hinein und fand auf dem Fußboden drei Stoffballen, die sich bei näherem Hinsehen als in Schlafsäcke gewickelte Mädchen entpuppten. Des Rätsels Lösung? Man war am Abend vorher auf einer Fete gewesen, die sich unerwartet in die Länge gezogen hatte. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln waren die Nachbarorte, in denen meine Einquartierung wohnte, nicht mehr zu erreichen gewesen, und so hatte Steffi ihren Freundinnen kurzerhand Asyl angeboten. Ich borgte mir in der Nachbarschaft ein Dutzend Eier zusammen, fütterte die übernächtigte Gesellschaft ab und fuhr sie anschließend nach Hause. Meinem Renommee als ach so tolerante Mutter ist das sehr zuträglich gewesen.
Wenig später sah das alles ganz anders aus! Da war ich plötzlich rückständig, antiquiert, mit Vorurteilen behaftet und spießig – mit einem Wort: Untragbar! Ursache dieses Gesinnungswandels war natürlich ein Mann, und zwar ein ausgewachsener. Bisher hatte sich Stefanie mit mehr oder weniger pubertären Jünglingen umgeben, die Pickel und einen sehr geringen Wortschatz hatten. Deren Hausbesuche nahmen plötzlich ab, während Stefanie immer häufiger verschwand. Angeblich hatte sie eine noch nie geäußerte Vorliebe
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