Das hätt' ich vorher wissen müssen
ab und legte los. Nach achtzehn Minuten hatte ich das erste Kapitel beendet, spulte die Kassette zurück, drückte die Wiedergabetaste und – schaltete nach dem dritten Satz das Gerät ganz schnell aus. Das hörte sich ja grauenvoll an! Monotones Geleier ohne Höhen und Tiefen, und mit der Atmung stimmte auch etwas nicht. Ob ich es mal mit Sprechübungen und Korken im Mund versuchen sollte? Quatsch, kein Mensch erwartet von dir bühnenreife Stimmtechnik, tröstete ich mich, aber zumindest dieses einschläfernde Gelaber mußt du korrigieren! Ich malte verschiedenfarbige Zeichen in das Manuskript: Rote Striche, wenn ich die Stimme heben mußte, blaue für das Gegenteil; grün bedeutete Pause, und schwarz hieß, jetzt kommt was Längeres, da darfst du zwischendurch keine Luft holen.
Dann versuchte ich es noch mal. Nun hörte sich der Vortrag schon besser an, aber bevor ich mich damit an die Öffentlichkeit wagen konnte, würde ich den Text vermutlich so lange üben müssen, bis er mir zum Halse heraushing.
So war es dann auch! Aber Stefanie, der ich das zuletzt aufgenommene Band vorspielte, weil sie ja ohnehin Zeuge meiner Premiere sein würde, behauptete, es klänge ganz gut, und für Münkenstein würde es bestimmt reichen. Solchermaßen moralisch aufgerüstet und begleitet von den guten Wünschen der Familie, fuhren wir gegen halb sieben Uhr los. Nach einer Stunde verließen wir die Autobahn und damit die Zivilisation.
»Erst mal müssen wir nach Weil der Stadt«, sagte Steffi, »das liegt hinter Renningen, und nach Renningen kommt man, indem man Richtung Leonberg fährt.« Das tat sie auch, nur war es falsch.
»Ich hätte eben früher abbiegen müssen«, stellte sie fest, nachdem sie zum ich weiß nicht wievielten Male die Karte studiert hatte, »aber das ist nicht weiter schlimm. Wir können auch obenherum fahren.«
Also fuhren wir obenherum, landeten nach etlichen Kilometern Umweg vorschriftsmäßig in Renningen, kamen sogar bis Weil der Stadt, aber dann war es aus. Nirgends ein Hinweisschild, kein Mensch auf der Straße, den man hätte fragen können – wer ging bei diesem Schneegestöber schon freiwillig vor die Tür? –, keine Kneipe in Sicht, wo man neben Zigaretten auch ortskundigen Rat holen könnte… die Stadt schien ausgestorben zu sein.
»Hatte Sven nicht gesagt, wir sollen Richtung Calw fahren?«
»Ich glaube eher, daß wir nach Bad Liebenzell müssen«, überlegte Steffi, die gerade einen entsprechenden Wegweiser entdeckt hatte.
»Sieh lieber noch mal nach!« schlug ich vor.
»Hat doch keinen Zweck, dieses blöde Kaff findest du höchstens auf einer Wanderkarte. Hier ist es jedenfalls nicht drauf!« Wütend stopfte sie den Atlas ins Ablagefach. »Ich fahre einfach weiter, wenn wir Glück haben, stimmt wenigstens die Richtung so einigermaßen.«
Fast hätte ich es übersehen, erst im letzten Augenblick konnte ich die halbverschneiten Buchstaben entziffern. »Münkenstein 7 km« stand auf dem Schild, das zu einer schmalen Straße wies. »Halt an, wir müssen rechts rein!«
Erschrocken trat Steffi auf die Bremse, der Wagen schlidderte und rutschte sanft auf den Wegweiser zu. »So kurzsichtig bin ich nun doch noch nicht, ich hab’s schon vorher lesen können«, versicherte ich meiner Tochter, bevor es ein häßlich knirschendes Geräusch gab. Danach war das Schild verbeult und das Auto um diverse Kratzer reicher.
Nach wenigen hundert Metern verengte sich das Sträßchen zu einer Art Waldweg, aber wenigstens war er asphaltiert und würde kaum irgendwo im Nichts enden. Umkehren wäre sowieso unmöglich gewesen, es sei denn, wir hätten das Auto hochgehoben und in die entgegengesetzte Richtung gestellt. Die Bäume reichten bis an den Straßenrand.
»Was nu, wenn uns einer entgegenkommt?«
»Hier kommt keiner«, beruhigte ich meine Chauffeuse, »da ist seit einer Ewigkeit niemand gefahren. Es könnte uns nur passieren, daß wir in einer Schneewehe steckenbleiben.«
»Erfrieren soll ja ein schöner Tod sein«, bemerkte Stefanie.
Immer kurvenreicher wurde die Strecke, die Bäume nahmen kein Ende, nirgendwo war ein Licht zu sehen, und obwohl ich wirklich kein ängstlicher Mensch bin, wurde mir die Fahrt langsam unheimlich. Die ausgeschilderten 7 Kilometer mußten wir doch längst hinter uns haben! Ich dachte an das Wirtshaus im Spessart, an Straßenräuber, obwohl die in dieser Einöde glatt verhungern würden, an Geiselnahme, an Suchaktionen…
»Ich muß mal!« sagte Steffi.
»Kannst du
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