Das Hagebutten-Mädchen
Sanders noch immer ein wenig ratlos, während Wencke Tydmers dem Freizeichen lauschte.
»Es wird nicht kontrolliert, Sanders!«
»Nicht kontrolliert? Aber was dann?«
»Ganz einfach: Wir kappen die Verbindungen zum Festland, weder Schiff noch Flugzeug werden Juist verlassen, und zwar so lange, bis wir die Person haben, von der Minnert sich bedrängt fühlte.«
»Und was ist mit der richterlichen Befugnis?«, fiel es Sanders ein.
Wencke lachte kurz und trocken. »Sie wissen doch selbst genau, wie lange das dauern kann. An einem Samstag! Sanders! Wenn ich darauf warte, die ganze Sache genehmigt zu kriegen, dann ist das Schiff schon in Norddeich angekommen und die betreffende Person auf und davon.«
»Aber…«
»Wissen Sie was? Ich übernehme vorerst die Sache am Hafen und Sie kümmern sich um diese Verfügung. Wenn es dann Ärger geben sollte, dann sind Sie fein raus aus der Sache und ich krieg den Rüffel. Nehm ich gern auf meine Kappe. Okay?«
Sanders schwieg. Er starrte seine ehemalige Vorgesetzte an, bewunderte ihre rot gefärbten Wangen und den eifrigen Blick ihrer grünen Augen. Diese Frau ging immer einen Schritt weiter, als er überhaupt zu denken wagte. Er spürte ein Prickeln im Bauch, welches ihm als eindeutiges Indiz für übersteigerte Emotionen bekannt war, und er versuchte es zu ignorieren.
Tjark Bonnhofen rückte auf dem Stuhl hin und her. Wencke Tydmers schien den Hörer gerade wieder einhängen zu wollen, da verstummte das monotone Freizeichen. »Oh, Herr Wortreich, gut, dass Sie da sind. Hier ist noch mal Tydmers von der Kripo.« Wencke lächelte, wenn sie telefonierte. »Ja, richtig, Sie hatten uns Ihre Hilfe zugesagt. Und die könnten wir jetzt gut gebrauchen. Es geht um die Fähre.« Ihre Stimme klang hell und vertrauenerweckend, Sanders hätte ihr keinen Wunsch abschlagen können. »Wir haben Grund zur Annahme, dass Ihr Lebensgefährte auf irgendeine Weise unter Druck gesetzt wurde, und wir vermuten, dass es mit wertvollen Antiquitäten oder Ähnlichem zu tun hat. Wir sollten in jedem Fall verhindern…«, sie nickte und lächelte immer noch. »Ja genau, ich sehe, Sie verstehen mich. Ist das möglich?… Ja?… Gut, ich erwarte Ihren Rückruf in zehn Minuten. Ich werde mich schon einmal für alle Fälle in Richtung Hafen aufmachen. Vielen Dank, Herr Wortreich.«
Und dann legte sie beschwingt den Hörer auf, grinste ihr sagenhaft breites Grinsen und atmete tief durch. »Ja! Wir machen die Schotten dicht. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir den Täter auf diese Art und Weise ganz gehörig unter Druck setzen.«
Mit einem Ruck stand sie auf und warf sich beinahe in derselben Bewegung die Jacke über, schaltete die Anrufweiterleitung auf das Handy, klemmte sich eine Zigarette in den Mundwinkel und zog den Rocksaum nach unten.
Auch Bonnhofen stand auf, er sah irgendwie zufrieden aus, und das wunderte Sanders. »Sind Sie nicht auch betroffen von der spontanen Entscheidung, die Verbindungen zur Außenwelt einzustellen? Sie wollten doch sicher auch zurück nach Norderney, jetzt, wo das Fest gelaufen ist.«
Bonnhofen seufzte und murmelte ein »Tja, da kann man wohl nichts machen«. Doch Sanders nahm ihm diese Geste der Resignation nicht ganz ab. Irgendwie schien der Kerl sich zu freuen. Na ja, vielleicht hat er ja auch einen Grund dazu. Immobilienverkäufe, hatte er nicht etwas vom Inselhuus erzählt?
»Werden Sie den Aufenthalt noch für Ihre Geschäfte nutzen?«
»Mal schauen«, sagte Bonnhofen etwas zu beiläufig.
»Ich habe bereits mit Minnerts Vertreterin über mein Anliegen gesprochen. Eine verdammt hübsche Frau, diese Seike Hikken.«
Aha, daher wehte der Wind. Sanders nickte kameradschaftlich. Es stimmte, Seike Hikken war eine verdammt hübsche Frau. Doch selbst nackt und bei Kerzenschein war sie nicht im entferntesten so attraktiv wie Wencke Tydmers, wenn sie telefonierte.
Bonnhofen ging zur Tür. »Verdammt hübsch, aber auch eine verdammt harte Nuss. Aber mit Schwangeren soll man sich ja bekanntlich sowieso nicht einlassen.«
Ein Stoß in den Magen hinderte Sanders daran, ebenfalls aufzustehen. »Wer ist schwanger?«
»Ach, geht das bei Ihnen auf Juist nicht so schnell rum wie auf Norderney? Wenn bei uns eine attraktive Frau wie Seike Hikken ledig und in anderen Umständen ist, dann kriegen unsere Weiber die Mäuler gar nicht mehr zu, so ausgiebig müssen sie diese Neuigkeit betratschen.«
»Hm«, murmelte Sanders nur. Und er begann zu rechnen. Um Himmels willen, wie
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