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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Moment wieder etwas abgeregt zu haben. Schauen Sie sich um. Ich sehe niemanden, der noch unglücklich darüber scheint, dass die Abfahrt der Fähre abgesagt ist.«
    Sanders nickte nur und nahm den nächsten vollen Löffel in den Mund.
    »Mein Gespräch in der Kutsche war aufschlussreich. Redlefsen erzählte mir etwas über ein wertvolles Akkordeon, welches Minnert ihm zeigen wollte. Leider ist es nicht dazu gekommen. Doch ein anderer Kollege aus dem Antiquitätenmilieu, ein gewisser Gerold Dontjeer aus Wangerooge, scheint ebenfalls davon gewusst und großes Interesse gehabt zu haben. Ich werde ihn mir gleich vornehmen, sobald ich den Teller leer gegessen habe.«
    »Dann stehen wir also am Ende unseres ersten Tages gar nicht so schlecht da?«
    »Ich denke nicht. Wir sind ein ganz gutes Team, Sanders, warum ist uns das in Aurich eigentlich nie aufgefallen?«
    Ja, warum eigentlich nicht, dachte Sanders. Und warum ist ihm nie aufgefallen, wie köstlich Erbsensuppe schmeckt? Immer diese elenden Salate in Aurichs Bistros, diese trockenen Weißweine, dieses pappige italienische Weißbrot, warum war ihm der Genuss am Eintopf erst heute und hier auf Juist begegnet? Und, was ihn noch mehr beschäftigte, warum war ihm noch nicht aufgefallen, dass Seike Hikken schwanger war?
    Er beobachtete sie. Seike saß neben dem Eingang, ihr kleiner Sohn, Piet oder Peer oder wie auch immer, saß auf einem Kinderstuhl und drehte wie verrückt an irgendeinem Spielzeug, das vor ihm an der Wand hing. Das Klackern und dazu das quietschvergnügte Brabbeln des Jungen waren lauter als alle anderen Insulaner zusammen. Sanders hatte ja nichts gegen Kleinkinder, doch die Geräusche, die sie unentwegt von sich gaben, konnten ihm den letzten Nerv rauben. Sogar im Schlaf murmelte und raschelte der Knirps. Nach der einen Nacht, die er in Seike Hikkens Bett verbracht hatte, war er wie gerädert aufgewacht. Und dabei hatte er in der Silvesternacht nichts getrunken, weil er ja im Dienst gewesen war. Nur ein Gläschen Sekt um Mitternacht. Es hätte auch wirklich schön sein können mit dieser Frau, wenn nicht der kleine Sohnemann alle drei Stunden aufgewacht wäre und ihm das blonde, weiche, gut riechende Haar auf dem anderen Kopfkissen entrissen hätte. Schon da hatte er eingesehen, dass es mit Seike nichts auf Dauer sein könnte. Zum Glück hatte sie nach ihrem One-Night- Stand keine Ansprüche gestellt, wie er es den ganzen Neujahrstag lang befürchtet hatte. Es war freundschaftlich mit ihnen weitergegangen, gemeinsames Frühstück am Wochenende, nach dem Volkstanzgruppenabend ein Bierchen in der Kneipe, zum Abschied zwei Küsschen auf jede Wange, meine Güte, war er erleichtert gewesen. Und nun war sie schwanger. Ausgerechnet schwanger.
    Warum war ihm das nicht eher aufgefallen? Wann hatte er sie das letzte Mal eine Zigarette rauchen sehen? Und hatte sie gestern Abend nicht dauernd an einer Cola genippt? Sie war eindeutig schwanger und er hatte ihr vielleicht doch allzu deutlich zu verstehen gegeben, dass sein Familiensinn ziemlich verkümmert war. Seike Hikken war eine stolze Frau, die ihm das Kind bis zu seiner Abreise verheimlichen würde, weil sie ahnte, dass er nichts mit Heiraten und Vaterwerden im Sinn hatte. War er wirklich so ein mieser Typ? Nein, sie täuschte sich. Er war bereit, Verantwortung zu übernehmen. Er war vielleicht sogar bereit, ein Zusammenleben zu riskieren, auch mit diesem anstrengenden Windelmonster könnte er es aufnehmen, wenn…
    »Sanders? Sind Sie noch da?« Erst jetzt hörte er Wencke Tydmers’ Stimme zu sich durchdringen, und er fühlte sich wie ertappt.
    »Ich war gerade ganz woanders, entschuldigen Sie.«
    »Ich glaube, es wird Zeit, dass wir weitermachen. Sie sehen schon den ganzen Tag so aus, als könnten Sie einen frühen Feierabend gebrauchen, und jetzt haben wir schon nach halb sieben.«
    »Hmm«, brachte er nur hervor.
    »Essen Sie in Ruhe auf und gönnen Sie sich noch eine Tasse Kaffee, ich suche inzwischen nach diesem Gerold Dontjeer. Wir setzen uns dann zur Vernehmung in die ruhige Ecke dort hinten bei der Durchreiche. Wenn Sie so weit sind, kommen Sie dazu. In Ordnung?«
    Er starrte schon wieder zum Eingang. Peer oder Piet hatte sich soeben den Finger geklemmt und schrie, eng umfangen von den tröstenden Armen seiner Mutter. Aus seinen Augen und seiner Nase tropfte klare Flüssigkeit auf Seikes Schulter.
    »Hallo? Sanders? Ob es so in Ordnung ist?«
    Er nickte Wencke zu. Nichts war in Ordnung. Aber das lag ja

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