Das Hagebutten-Mädchen
spüre das. Wir hatten doch ohnehin vor, sie morgen als Zeugin zu verhören, jetzt setzen wir sie aber ganz oben auf die Liste. Und Hikken… Hikken… habe ich diesen Namen nicht schon einmal gehört?« Wencke kniff die Augen zusammen, als könnte sie so ihre Gedanken besser sortieren. »Hat dieser Bonnhofen nicht diesen Namen erwähnt? So ganz beiläufig, als ich schon fast aus der Tür war und zum Hafen wollte, da hat dieser Bonnhofen gesagt, dass er bei einer Frau Hikken war!« Vielleicht war sie ja doch noch nicht so betrunken? Oder sie war schon zu verquer und empfand ganz naheliegende Gedankenblitze als besonders genial. Konnte auch sein.
»Bei dieser Frau finden wir endlich, wonach wir schon die ganze Zeit suchen. Verdammt noch mal, Sanders, nun schreiben Sie schon!«
Gerold Dontjeer schenkte erneut ein. Sanders kratzte sich mit dem Stift durchs Haar.
»Was ist los, Sanders?« Meine Güte, ich lechze nach einem Zug Nikotin, dachte Wencke. »Kennen Sie diese Hikken? Den Vornamen meine ich? Sie war die Nachbarin von…«
»Seike«, sagte Sanders nur, dann griff er pfeilschnell einen der bereitstehenden Schnäpse und schüttete sich den Brand in die Kehle.
Wencke stand schwer von ihrem Holzstuhl auf, die Zigarette bereits zwischen die Lippen gesteckt. »Ich glaube, für mich ist heute Feierabend! Kümmern Sie sich um diese Frau, Sanders?«
»Bleibt mir wohl nichts anderes übrig!«, murrte Sanders, und als er sich das zweite Glas schnappen wollte, trafen sich ihre Finger am Tisch. Flüchtig und ganz aus Versehen, doch keiner zog die Hand zurück.
Samstag, 20. März, 21.39 Uhr
D ie kleine Lüge im Polizeirevier hatte eine Menge gebracht. Tjark Bonnhofen hatte Zeit gewonnen. Und diese hatte er bereits genutzt. Zum Glück hatte er auf der Kutschfahrt zur Bill den richtigen Platz erwischt, direkt zwischen Bürgermeister und Ratsvorsitzendem und gegenüber dem derzeitigen Kassenwart des Heimatvereins. Es war eine schöne Fahrt gewesen.
»Wir müssen dringend unsere Immobilien verkaufen, kein Geld in den Kassen«, hatte der Bürgermeister geklagt. »Und das Grundstück, auf dem das Inselhuus steht, gehört der Gemeinde.«
Das ist ja interessant, hatte Bonnhofen im Stillen gedacht.
»Wir werden diese Parzelle noch bis zum Sommer veräußern. Natürlich hat der Heimatverein Vorkaufsrecht. Wir sind jedoch gezwungen, den handelsüblichen Quadratmeterpreis zu verlangen, sonst steigt uns der Landkreis aufs Dach.«
Und wieder hatte Bonnhofen sich die Hände gerieben, natürlich nur im Geiste. Seine klammheimliche Freude hatte er unter einer verständnisvollen Miene versteckt, bevor er sich nach vorn gebeugt hatte. »Wenn der Heimatverein damit finanziell überfordert ist, dann kann ich Ihnen gern ein wenig unter die Arme greifen. Ich habe es bereits Ihrer stellvertretenden Vorsitzenden angeboten. Mir liegen alte Insulanerhäuser sehr am Herzen, deshalb wäre es mir eine Ehre, Sie bei diesem Projekt zu unterstützen.«
Ja, die Männer hatten ihn ernsthaft und dankbar angesehen und dann ein Glas Schnaps mit ihm getrunken. Mit Menschen seines eigenen Geschlechts konnte Bonnhofen schon immer die besseren Geschäfte machen.
In der Gaststätte dann hatte er die Gespräche vertieft. Erste Zahlen waren genannt worden, erste Handschläge getätigt. Er würde das Grundstück im Mai überschrieben bekommen. Die Summe, die er dafür berappen musste, war akzeptabel. Und dann konnte es der Heimatverein nach und nach, Stück für Stück, von ihm abkaufen. Theoretisch. Über seine praktischen Ziele hatte Bonnhofen sich natürlich ausgeschwiegen. Doch er war sich sicher, dass er besser rechnen konnte als die drei wichtigen Herren aus der Kutsche, und unter dem Strich müsste das Inselhuus bereits im Spätherbst ihm gehören. Oder besser gesagt: seinem Klienten. Dessen Namen hatte er wohlweislich gar nicht erst ins Gespräch gebracht. Claus-Bodo Johannsen war sicher nicht gerade der beliebteste Politiker Deutschlands. Vor allem hier im roten Norden tat man besser daran, eventuelle Sympathien für ihn und seine Partei zu verschweigen. Obwohl es schon wichtig war, dass es Männer wie Johannsen gab, denen Traditionen und nationale Werte noch etwas bedeuteten. Auch für Juist war es wichtig. Und für seinen Immobilienhandel.
Bonnhofen konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, welches seine Lippen in die Breite zog, als er auf der Rückfahrt über sein Glück staunte. Die anderen Jungs wollten später im Dorf noch weiter feiern,
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