Das Hagebutten-Mädchen
war.
Und sie erschreckte sich beinahe zu Tode!
Wie um alles in der Welt war sie in Sanders’ Bett gelandet?
Langsam wandte sich Wenckes Bewusstsein der unteren Hälfte ihres Körpers zu und sie erkannte mit Schrecken, dass sie nackt war. Die schwarze, seidenglatte Bettdecke lag kühl über ihr und, verdammt, auch über Sanders. Sie beide auf einer Matratze, ihre Füße stießen am anderen Ende des Bettes vertraut gegeneinander und sie hörte seinen langsamen Atem direkt neben sich. Was war passiert? Und, viel gravierender, wie viel war passiert?
Hatten sie…
Nein, eine unsichtbare Schranke versperrte ihr den Weg, den sie sich im Dunkel der Vergangenheit ertasten wollte. Bloß nicht darüber nachdenken!
Sie drehte sich zu ihm. Er schlief ja gar nicht mehr. Axel Sanders lag mit halb offenen Augen neben ihr und wich noch nicht einmal ihrem Blick aus. Der hat Nerven, dachte Wencke.
Schnell zog sie ihre Füße zurück und setzte sich auf, die Bettdecke schützend an sich gerissen, sodass Sanders keinen Zipfel mehr davon abbekam. Verstohlen lugte sie zu ihm hinüber. Er trug eine Unterhose, zum Glück. Eine hellblaue, unspektakuläre Unterhose aus gerippter Baumwolle. Wencke war sich eigentlich relativ sicher, dass sie dieses Kleidungsstück noch nie zuvor gesehen, geschweige denn über zwei Männerbeine gestreift hatte. Erleichtert fand sie ihre Stimme wieder.
»Wo ist denn Ihr Badezimmer?«
Er stützte seinen Kopf auf die Hand und musterte sie eingehend. Schämen sollte er sich. Sie waren immerhin Kollegen. »Zweite Tür links, Handtücher liegen im Schrank unter dem Waschbecken.«
Wencke wickelte die Bettdecke eng um ihren Körper, griff nach der kleinen, gestern so hastig gepackten Reisetasche, die wie selbstverständlich am Fußende stand, so als gehöre sie dorthin, wer hatte sie dort abgestellt?
Wencke erhob sich verwirrt. Mit kleinen Schritten trippelte sie davon und war sich nur zu bewusst, dass er hinter ihr herstarrte.
Im Badezimmer lagen ihre Klamotten von gestern auf dem Boden. Kreuz und quer, direkt neben der Toilette. Von den Schuhen fehlte jede Spur. Das war schon ziemlich schlimm. Doch noch härter traf es sie, dass Sanders’ Bundfaltenhose und das Hemd vom Vortag feinsäuberlich auf einem Kleiderbügel hingen. Er musste also noch bei klarem Verstand gewesen sein, als sie wann und wie auch immer gestern Nacht hier angekommen waren.
Und sie war allem Anschein nach nicht mehr ganz zurechnungsfähig gewesen.
Leckerer Hagebuttenbrand, von wegen! Teufelszeug! Sie stellte sich vorsichtig unter die Dusche und fand Sanders’ Körpergel. Es war edel, hellblau, genau wie seine Unterhose, und es roch kühl und männlich. Die Körperhärchen stellten sich auf, so eisig zog der Schaum über ihre Haut. »Refreshing Sportshower« stand auf der Tube. Wencke stellte sich kurz vor, wie der auf den ersten flüchtigen Blick recht athletisch aussehende Körper ihres Kollegen von diesem Zeug hier eingeseift und von eiskaltem Wasser abgeduscht wurde. Es gab sicher abstoßendere Gedanken als diesen.
War es wirklich so schlimm, dass sie es getan hatten?
Wenn sie es getan hatten.
Immerhin war ihr gestern im Laufe des Tages und im nüchternen Zustand schon mehrmals aufgefallen, dass Axel Sanders vielleicht doch nicht so ein Spießer und Widerling war, wie sie es bislang immer von ihm gedacht hatte. Und eines war sicher: Sanders war kein Weichei, so wie ihr letzter Freund Ansgar, der noch nicht einmal sauer gewesen war, als sie ihn letztes Jahr wenige Stunden vor dem Abflug in den gemeinsamen Urlaub hatte hängen lassen. Und bei Sanders musste sie auch auf keine bösen Überraschungen gefasst sein, so wie bei Fokke, ihrer Kurzzeitaffäre beim vorletzten Juistaufenthalt, der inzwischen lebenslänglich im Gefängnis Fuhlsbüttel abzusitzen hatte. Sanders war eigentlich ein feiner Kerl.
Zuverlässig und vernünftig, ordentlich und verantwortungsbewusst, ein idealer Partner und sicherlich auch irgendwann einmal ein prima Vater…
Halt! Stopp! Ach, daher wehte der Wind… Wencke schämte sich in Grund und Boden, obwohl diese heimlichen Gedanken ja niemand mitbekommen hatte. Ging es ihr doch tatsächlich wieder um diese Familienplanungskiste?
Jetzt aber mal halblang, dachte sie und stellte die Dusche auf eiskalt. Du bist jetzt doch nicht total durchgeknallt und lachst dir aus lauter Hormonverwirrtheit einen Typen an, den du vor nicht mal einem Jahr am liebsten auf den Mond geschickt hättest! So nicht!
Axel Sanders
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