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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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während er sich abgeseilt und in die letzte Kutsche gesetzt hatte. Ein bisschen Ruhe würde ihm gut tun. Morgen wollte er den Herren ganz beiläufig zumindest schon mal einen Vorentwurf vorlegen, den er heute Nacht noch am Laptop zurechtschreiben konnte. Und wenn er morgen früh nüchterner und bei klarerem Verstand als seine Geschäftspartner war, dann konnte dies auch nur von Vorteil sein. Montagmorgen würde Dr. Johannsen anrufen, und wenn alles glatt lief, dann konnte er ihm eine hundertprozentige Zusage machen. Zwar musste sein Klient noch bis zum Herbst warten, aber dafür würde er das Objekt noch günstiger, quasi zu einem Schnäppchenpreis bekommen. Und das war doch ein guter Grund, ein paar Monate auszuharren. Das Vorkaufsrecht des Hauses lag mit Vertragsunterschrift dann nämlich bei ihm. Und so ein Heimatverein konnte schnell einmal in die roten Zahlen geraten. Was, wenn die kostspieligen Skulpturen an der Strandstraße über Nacht verschwinden würden? Die waren seines Wissens nach nicht versichert, und dann müsste der Verein zahlen… Es gab unendlich viele Möglichkeiten, sie zum Verkauf des Hauses zu nötigen.
    Bonnhofen lehnte sich zurück und betrachtete die anderen, die mit ihm in der Kutsche saßen oder vielmehr lagen! Ein paar Alkoholopfer waren zweifelsohne dabei. Zu Bonnhofens größtem Vergnügen schien es auch die Kommissarin erwischt zu haben.
    Ihr graues Röckchen saß unanständig weit oben, dafür war die Bluse eindeutig zu weit nach unten gerutscht. Soso, Kommissarinnen trugen also schwarze Wäsche. Sie lehnte neben ihrem Kollegen und man sah ihr an, dass sie sich am Riemen reißen wollte, dass sie alle zwei, drei Minuten ihre Augenlider nach oben schob und einen nüchternen Blick aufzusetzen versuchte. Was ihr gründlich misslang. Wenn der Kollege sie nicht festgehalten hätte, wäre sie wahrscheinlich von den roten Kunstledersitzen gerutscht.
    »Hat sie ihre Schuhe verloren?«, fragte Bonnhofen mit einem Blick auf die nackten Füße der Polizistin. Soweit er sich erinnerte, hatten heute Nachmittag noch ziemlich teuer aussehende Lederpumps die schmalen Zehen bekleidet.
    »Ich fürchte, ja!«, antwortete der Mann. Es schien ihn zu verwirren, dass die betrunkene Frau ihren roten Kurzhaarschopf in seine Halsbeuge gebettet hatte und sich, so vertraulich angeschmiegt, sichtlich wohl fühlte. Die Müdigkeit hatte nun anscheinend gewonnen: Sie lächelte leicht im Schlaf.
    War sie nicht seine Vorgesetzte? Bonnhofen meinte sich zu erinnern, dass sie die Hauptkommissarin war. Wie peinlich.
    Er drehte den Kopf weg, beobachtete das seltsame Pärchen jedoch weiterhin unauffällig aus den Augenwinkeln.
    Tatsächlich. Der Polizist streichelte der Betrunkenen über den Kopf. In kleinen, kreisenden Bewegungen fuhr er über ihren Scheitel. Und sie grinste. »Nicht aufhören!«, nuschelte sie. Wie bei einer Heimlichkeit ertappt, zog der Mann seine Hand zurück, doch die Polizistin griff nach seinem Arm und platzierte die Finger genau auf ihrem Busen. Volltreffer. Und tatsächlich: Er streichelte auch dort. Diesmal in großen, kreisenden Bewegungen.
    Bonnhofen lächelte in sich hinein.

Samstag, 20. März, 22.27 Uhr
    U nd wenn sie mich jetzt verfolgt?, dachte Seike. Sie hatte Angst. Warum war sie nicht mit den anderen in die Kutsche gestiegen? Das Fahrrad in den Gepäckraum und Paul vor dem Bauch. Das hätte gehen können.
    Stattdessen fuhr sie nun ganz allein, nur mit einem schreienden Sohn auf dem vorderen Kindersitz, diese endlose Strecke von der Bill ins Dorf. Sie hatte sich noch mit der Wirtin der Domäne festgequatscht. Über Schwangerschaften, klar. Immerhin war diese Frau Mutter von vier Kindern, da kam man schnell ins Gespräch, wenn man sich für dieses Thema interessierte. Und als sie aus der gemütlichen Privatküche herausgetreten war, war im Gastraum keine Menschenseele mehr gewesen. Alle weggefahren. Und sie musste nun in der Dunkelheit nach Hause. Paul war quakig, er gehörte ins Bett, und sie war wackelig auf den Beinen. Weil sie Angst hatte.
    Vier Kilometer Niemandsland. Nur eine einsame Straße. Wenn ihr hier jemand auflauerte, dann hätte dieser Jemand ein leichtes Spiel.
    Seike fuhr im dritten Gang, sie war schon außer Atem, doch trotzdem traten ihre Füße schnell und eilig in die Pedale, damit sie endlich die ersten Lichter im Loog zu sehen bekam.
    Wäre sie schnell genug, wenn einer hinter den Holunderbüschen hervorspringen sollte? Oder wenn er sich Verstärkung geordert hatte?

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