Das Hagebutten-Mädchen
der Vater deiner Kinder? So viel kaltes Wasser gab es gar nicht, als dass sie die Peinlichkeit dieses Gedankens hätte abspülen können.
Er war doch eigentlich ein Kotzbrocken. War er doch immer gewesen. Wencke ermahnte sich selbst: Schon die schwarze Satinwäsche in seinem Bett! Und dieses fürchterliche Duschzeug! Und der ganze andere Duftkram, der auf der Ablage über dem Waschbecken stand: Conditioner für reifes Männerhaar – bringt Volumen und deckt die ersten grauen Strähnchen diskret ab. Brrr!
Wencke stellte die Dusche ab und griff nach dem Handtuch. Es war verräterisch flauschig. Axel Sanders schien Weichspüler zu benutzen. Noch ein Minuspunkt. Es gab auf der ganzen Welt wohl niemanden, der schlechter zu ihr passen würde als dieser Mann.
Sie kramte in ihrer Tasche. Wie wunderbar, sie hatte ihre Jeans nicht vergessen und dazu den knallroten Pullover mit der Pistole auf der Brust mitgenommen, ihr Lieblingsstück. Es war ein scherzhaftes Geschenk ihrer Auricher Kollegen zum dreißigsten Geburtstag gewesen. Alles andere als seriös in ihrem Job, zudem war die Farbe schon ein wenig herausgewaschen, weil sie diesen Pulli meistens gleich wieder aus dem Wäschehaufen fischte, wenn er gerade aus dem Trockner kam. Schnell stieg sie in die Klamotten, in denen sie sich endlich wieder richtig wohl fühlte, wie Wencke Tydmers. Hätte sie gestern nicht dieses dämliche Kostüm angehabt, dann wäre das alles wahrscheinlich nicht passiert. Nur deswegen war Sanders so auf sie abgefahren, schon bei der Ankunft hatte er sie ganz komisch angestarrt.
Die Finger mussten als Bürste reichen. Ein Blick in den Spiegel verriet ihr, dass sie aussah wie immer, und das war auch gut so. Wo waren bloß die Schuhe?
Es klopfte.
»Ich habe Frühstück gemacht. Haben Sie schon Appetit?«
Gott sei Dank, er blieb beim Sie. Er hätte auch sagen können: »Hallo, mein Schatz, unser Frühstück steht neben dem Bett, kommst du noch mal unter die Decke gekrochen?« Hätte er das gesagt, wäre sie wahrscheinlich niemals wieder aus diesem Badezimmer herausgekommen.
Doch nun traute sie sich und drehte entschlossen den Schlüssel herum. Er saß mit dem Rücken zu ihr in der kleinen Küche auf einem Klappstuhl und rührte in seinem Kaffee.
»Ähm. Tja, Sanders, haben Sie eine Ahnung, wo meine Schuhe geblieben sind?«
Sonntag, 21. März, 8.20 Uhr
W arum nur musste es wieder so höllisch wehtun? Warum bildete die Seele keine Hornhaut? Noch schlimmer war die Wut. Sie machte ihren Körper zu einem Vulkan, der beim nächsten Atemzug zu explodieren drohte.
»Mama, was ist eigentlich los mit dir?«, fragte Michel und biss in seinen fingerdick mit Nutella beschmierten Mohnstuten.
Astrid sagte nichts. Sie versuchte nur, nicht zu heulen. Dieser Versuch kostete sie alle Kraft und da waren keine Reserven mehr übrig, um ihrem Sohn zu erklären, dass ihr ganzes Leben ruiniert war.
»Schlaf erst mal ‘ne Nacht drüber«, hatte Henner gestern gesagt. Doch diese Zeit allein im Bett, wo es noch nach Gerrit roch, hatte es noch schlimmer gemacht. Nur noch das Frühstück hinter sich bringen, dem Kind zuliebe, und dann würde sie es nicht länger aushalten.
Sie wollte zu Seike. Sie wollte nichts verdrängen, nichts beschönigen, sondern zu der Frau gehen, die sie bislang für ihre beste Freundin gehalten hatte, und dann wollte sie Seike diese ganzen Fragen an den Kopf knallen, die ihr in der letzten Nacht den Schlaf geraubt hatten und auf die sie allein nie eine Antwort finden würde.
Warum hatten sie das getan?
»Ich will keinen Tee mehr«, sagte Michel und schob die Tasse mit seinen kleinen Händen zur Mitte des Küchentisches. »Kann ich zu Kevin? Wir wollen Fußball spielen! Bitte!« Er setzte seine großen Augen ein und sein schüchternes Grinsen. Normalerweise wusste Michel, dass er auf Granit biss, wenn er am Sonntag im Dreck spielen wollte. Umso erstaunter schien er zu sein, als seine Mutter zustimmend nickte. »Super, Mami!«
»Nimm einen Schlüssel mit, Michel. Ich werde wahrscheinlich nicht zu Hause sein, wenn du zurückkommst.« Michel blieb sitzen, als wäre die Erde in diesem Moment stehen geblieben. Es gab Dinge, die in seinem Leben so gut wie nie vorkamen, das wusste Astrid. Sie war eigentlich immer daheim. Immer erreichbar. Ihr wurde mit Schrecken bewusst, dass die Änderungen, die sich nach dem gestrigen Abend zwangsläufig ergeben würden, sein kurzes, heiles Leben aus den Angeln heben würden. Astrids Kehle war trocken vor
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