Das Hagebutten-Mädchen
Astrid dabei so an, als ob er staunte, dass auch andere Frauen außer Mama ihn zufrieden stellen konnten.
Seike lehnte sich gegen den Türrahmen und wünschte sich, heute sei ein ganz normaler Tag und Astrid sei nur zu einem Plausch vorbeigekommen. Hätte sie vielleicht doch ihre Freundin sein können? Wenn Gerrit nicht gewesen wäre? Wenn er nicht vor drei Jahren an einem Winterwochenende mit der Feuerwehr bei ihr angerückt wäre, damals, als sie den Wasserrohrbruch hatte? Wenn sie sich dann nicht bei einer Tasse Tee festgequatscht hätten? Nach kaum einer Stunde hatte er ihr gestanden, dass er sein Leben nicht besonders mochte mit dieser Frau, die immer alles so gründlich saubermachte, alles organisierte und plante und keinen Platz für Fehler ließ. Dass er nur seinen Sohn wirklich liebe. Und dann war er nach einer Woche unter dem Vorwand wiedergekommen, er wollte nachschauen, ob das defekte Wasserrohr nun wieder vollkommen in Ordnung sei.
Hätten Astrid und sie eine Chance gehabt, Freundinnen zu werden?
Astrid stand auf und spülte die Quarkschüssel unter fließendem Wasser ab. »Du beobachtest mich, Seike. Ich möchte zu gern wissen, was in deinem Kopf vorgeht. Jetzt, wo es raus ist. Hast du Mitleid mit mir oder bist du froh?«
»Ich habe keine Ahnung!«, sagte sie. Dann ließ Seike sich ein bisschen Zeit, vielleicht fand sie ja doch eine Antwort. Schließlich begnügte sie sich mit einem klaren, schlichten Satz: »Ich weiß nur, dass ich deinen Mann liebe, genau so wie er mich!«
Pfeilschnell fuhr Astrid herum, ein unangenehmes Lächeln im Gesicht. »Du bist dir ja so sicher, nicht wahr? Für dich ist jetzt alles in Ordnung, denkst du!«
»Nein, da liegst du falsch, mir tut es doch auch weh und ich…«
»Und wenn ich dir nun sage, dass ich erst gestern Abend mit meinem Mann geschlafen habe? Dass er mich fast angefleht hat, zu ihm ins Bett zu steigen?«
»Das stimmt nicht!«
Paul schien zu spüren, dass die trügerische Harmonie sich auf einmal in Nichts auflöste. Er verzog sein Gesicht, seine Mundwinkel kippten nach unten und er begann wieder zu brüllen. Was hatte Astrid da gerade gesagt?
»Gut, er war vielleicht betrunken, aber es hat ihn nicht daran gehindert, es mit mir zu tun!«
»Lüg mich nicht an!« Doch Seike wusste, dass Astrid sie nicht belügen würde. Selbst wenn sie allen Grund dazu hatte, mit Vergnügen auf ihren Gefühlen herumzutrampeln, sie würde sich nicht eine solche Lüge einfallen lassen. Dazu war sie einfach nicht abgebrüht genug.
Paul kletterte schreiend vom Stuhl herunter und klammerte sich an ihr Hosenbein. Meine Güte, Kind, sei endlich einmal still.
»Wer bist du schon, Seike Hikken?«, stichelte Astrid weiter. Es war ihr nicht entgangen, dass sie mit ihren letzten Sätzen einen Treffer gelandet hatte. »Bildest du dir ein, er würde für immer bei dir bleiben?« Sie schickte ein gehässiges Lachen hinterher. Seike hätte nie gedacht, dass Astrid sich derart verwandeln könnte.
Doch sie wollte sich nicht verletzen lassen, von niemandem. Auch wenn sie dieser Frau den Mann und den Glauben an eine heile Welt genommen hatte, sie brauchte sich nicht alles von ihr gefallen zu lassen. Hatte sie in den letzten Jahren nicht selbst genug mitgemacht? Hatte sie nicht immer zurückgesteckt, auf so vieles verzichtet, ständig im Schatten gelebt? Warum sollte sie nun die Schuldige sein, verdammt noch mal, warum?
»Er wird bei mir bleiben, Astrid! Ich schwöre dir, dass ich ihn bekommen werde!«
Astrid kam auf sie zu und hatte noch immer diesen Gesichtsausdruck mit dem überlegenen Grinsen aufgesetzt. »Ich will ihn nicht mehr haben, ich schenke ihn dir! Er widert mich an. Ich bin froh, wenn ich ihn endlich los bin. Glaube also nicht, dass es Gerrit sein wird, der die Trennung verlangt!« Fast gelang es Astrid, stolz und unverwundbar zu erscheinen. »Ich werde ihn im hohen Bogen rausschmeißen! Und weißt du was? Er wird es gar nicht wollen, Seike! Gerrit wird mich anflehen, bleiben zu dürfen, genau so, wie er gestern gebettelt hat, dass ich in sein Bett steige.« Sie kniff ihre Augen zusammen, als würde sie geblendet werden, durch die schmalen Schlitze starrte sie Seike gehässig an. »Er hätte doch schon viel eher zu dir gehen können, oder nicht? Stattdessen machte er sich jahrelang diesen Stress. Weil ich ihm noch viel zu viel wert bin. Er hängt an mir! Er kann gar nicht ohne mich! Weil wir eine Familie sind, weil ich die Mutter seines Kindes bin, weil er bei mir zu
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