Das Hagebutten-Mädchen
Wissen dann nicht schon gestern Vormittag gegen sie verwandt und ihr stattdessen fünftausend Euro geboten, um die Zustimmung für das Inselhuus zu bekommen? Nein, das passte nicht, und Seike musste sich zusammenreißen, damit Axel ihr die Verwirrung darüber nicht ansah.
»Ja. Es ist schon ziemlich traurig, dass er über diese Sache eher Bescheid wusste als ich.«
Täuschte sie sich oder sah Axel Sanders wirklich ein wenig gekränkt aus? Offensichtlich war zumindest, dass er nicht alles aussprach, was ihm auf der Zunge lag. Manchmal war er wirklich ein verkorkster Typ.
»Himmel, er hat es durch Zufall erfahren. War eben zur passenden Zeit am passenden Ort. Sonst wusste doch auch kein Mensch davon und du weißt, wie schwer auf Juist etwas zu verbergen ist.«
Er konnte doch nicht ernsthaft sauer sein. Hatte er etwa geglaubt, sie beide seien ein Paar? Nie im Leben, dazu hatte sie ihm nie den Anlass gegeben und er hatte auch nicht danach ausgesehen, als wolle er den Rest seiner Zeit mit ihr verbringen. »Du sagtest doch, du wärest dienstlich hier!«
Nun drehte er sich zu ihr, schaute ihr in die Augen und schüttelte den Kopf. Weiß der Himmel, dachte Seike, weiß der Himmel, warum er so beleidigt aussieht. Endlich riss er sich zusammen. »Am Freitagabend war Kai Minnert bei dir. Er wollte wissen, wo sein Lebensgefährte steckt. Danach, so sagt ein Zeuge, danach ist er ziemlich aufgeregt gewesen und wahrscheinlich in seinen Laden geeilt, wo er dann ja, wie du weißt, in seinem eigenen Schaufenster erstickt ist. Was hast du ihm gesagt?«
Seike war erleichtert, dass er nur diese Kleinigkeit wissen wollte. »Ich habe ihm mitgeteilt, dass Henner Wortreich vor ungefähr einer halben Stunde aus dem Haus gegangen war, dass er ein ziemlich unförmiges Ding in einen Handkarren gepackt hat und dann Richtung Wilhelmstraße verschwunden war.«
»Sonst nichts?«
Was wollte er eigentlich? Er konnte sich doch denken, was für ein Theater es gegeben hat, nachdem Kai Minnert gesehen hatte, dass Gerrit halb nackt aus ihrem Badezimmer geschlichen kam. Dieser Bonnhofen schien ihm doch bereits alles erzählt zu haben. Sie sagte nichts.
»Könnte dieses unförmige Ding ein Akkordeon gewesen sein?«, fragte er schließlich.
»Ja, es hätte wohl ein Akkordeon sein können. Eingehüllt in eine Decke. Genaues habe ich aber nicht gesehen. Warum fragst du?«
»Es ist mein Job, Seike.«
Er ging aus dem Zimmer, ganz plötzlich eigentlich, und sie hörte seine Schritte auf der Treppe. So schnell kam sie gar nicht hinter ihm her. Als sie noch ganz oben auf den Stufen stand, war er schon an der Tür. Die Klinke in der Hand, zögerte er noch einmal kurz und schaute zu ihr hinauf, wanderte mit den Augen über ihren Körper und seufzte. Was ging in ihm nur vor? »Willst du mir wirklich nicht noch etwas sagen?«, fragte er schließlich.
»Nein, aber ich habe den Eindruck, du bist noch nicht alles losgeworden!«
»Ich finde sie ziemlich traurig, diese Sache. Du hättest es mir sagen sollen, ich denke, es geht doch uns beide an, oder nicht? Aber trotzdem will ich dir noch sagen, dass du dich auf mich verlassen kannst. Verstehst du? Ich werde dich jetzt nicht im Stich lassen.«
Und dann verschwand er ziemlich schnell. Seike blieb stehen. Sie konnte sich überhaupt keinen Reim auf seine melodramatischen Worte machen. Oder hatte sie etwas gründlich missverstanden?
Und dann fiel es ihr ein. Na klar! Axel Sanders hatte nicht die Sache mit Gerrit gemeint. Bonnhofen hatte ihm von dem Schwangerschaftstest erzählt, so musste es gewesen sein. Und nun dachte der arme Axel, er sei der Vater. Dabei konnte er es gar nicht gewesen sein. Axel war doch viel zu korrekt, um ungewollt Kinder in die Welt zu setzen. Sie hatte Silvester schmunzeln müssen über sein kleines, diskretes Lederetui, in dem fünf Kondome auf ihren Einsatz warteten, so ganz langweilige, transparente Gummis. Außerdem war sie gerade erst in der neunten Woche, Sanders kam also als Vater absolut nicht in Frage. Sie selbst hatte noch nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass er es sein könnte.
Sie sollte ihn zurückrufen und ihn von dem Missverständnis erlösen. Obwohl…
Sie ging langsam die Treppe hinab. In der Küche war es still und merkwürdig friedlich. Als sie die angelehnte Tür aufstieß, sah sie Astrid mit Paul auf dem Arm am Küchentisch sitzen. Sie öffnete ihren Mund, wenn sie ihn mit Quark fütterte. So sah sie aus wie eine Vogelmutter. Paul aß brav, schaute
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