Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Mann. Er ruft: »Habe ich Sie geweckt, gnä’ Frau?«
»Alle schlafen noch«, sagt sie erleichtert und tritt über die Scherben hinweg.
»Die jungen Leute haben entweder keinen grünen Daumen oder sind arbeitsscheu«, sagt der Gärtner und deutet auf den Vorgarten.
»Die jungen Leute haben andere Sorgen«, sagt sie.
»Keiner ist sorgenfrei«, sagt der Gärtner. »Drüben bei Ihnen sieht es ja auch nicht so rosig aus.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nu, in der Politik und in der Wirtschaft, meine ich.«
»Sie müssen nicht alles glauben, was in der Aktuellen Kamera gesagt wird oder im Schwarzen Kanal.«
»Ich bringe auch nur die Blumen«, sagt der Gärtner und zeigt mit seinem Armstumpf auf eine Schubkarre voller Rosenblüten. An einem Holm hängt eine Schlaufe. »Da wären ein Brautstrauß aus einundzwanzig roten Rosen, weiße Rosen für die Kirche und Rosenblätter zum Streuen für die Blumenkinder.«
»So viele«, sagt sie und nimmt einen Kübel entgegen.
»Die junge Dame wollte es so. Schon in den Ferien hat sie alles bestellt, da waren die Knospen noch gar nicht entwickelt.«
»Sie kriegt, was sie will.«
»Jetzt will sie Ihren Sohn mit nach Berlin nehmen.«
»Ach, Berlin?«
»So heißt es.«
»Wo haben Sie eigentlich Ihren Hund gelassen?«, fragt sie und lässt sich das Säckchen mit den Rosenblättern geben.
»Der ist schon vorausgehumpelt«, sagt der Gärtner, »gen Himmel. Und übrigens sehe ich Tagesschau.«
Sie trägt die Blumenkübel in die Garage. Dahinter steht die verwüstete Festtafel: Weinlachen, zersprungene Gläser, Essensreste, umgestürzte Bierbänke, Asche, Kippen und Kotze auf dem Tischtuch. Das Feuerholz ist verkohlt. Vor den Büschen turnt eine rosa Frau im hautengen Dress, die Haare von einem geflochtenen Stirnband gehalten, die Waden in Stulpen, alles in Rosa.
»Was machen Sie da?«, fragt sie die Frau. Es ist die Brautjungfer, die kurz die Schwiegertochter war.
»Guten Morgen«, sagt die Brautjungfer und stößt ihr linkes Knie zum rechten Ellenbogen. »Ich mache Ährohbick.«
»Wie bitte?«
»Popgymnastik«, sagt die Frau. »Enorm in Form.« Sie stößt ihr rechtes Knie zum linken Ellenbogen.
»Ging es denn noch lange gestern?«
»Oh, bis in die Puppen«, sagt sie und lässt ihre Hüften kreisen.
»Kamen noch letzte Gäste?«
»Nur ungebetene.«
»Ungebetene?«
»Ja, der ABV kam. Die Nachbarn haben ihn wegen Ruhestörung gerufen. Nicht mal Jenny und Philippa konnten ihn besänftigen, also ist die Fete in diese Kneipe verlegt worden, in die Johannaburg. Da ist es leider hitzig geworden. Die Boys und dieser Matrose haben sich gekloppt, am Schluss gab es eine Riesenkeilerei. Jetzt schlafen sie ihren Rausch aus.«
»Und sonst ist niemand mehr gekommen? Kein Herr aus dem Westen?«
»Nein«, sagt die Frau und reckt ihren Hintern den Büschen entgegen. »Aber bitte geben Sie mir sofort Bescheid, wenn ein Herr aus dem Westen kommt.«
Zum Standesamt kommt kein Herr aus dem Westen. Leonore im weißen Kleid muss sich das Lachen verkneifen, als die Standesbeamtin die Namen der Trauzeugen verliest: Gerd-Moritz Kleeberg und Joachim-Rainer Schuhmann. Nur Frank heißt Frank, und Eva heißt Eva. Eva trägt ein langes, schulterfreies Kleid in Weiß und die Haare offen. Frank hat einen cremeweißen Smoking an, der wie angegossen sitzt. Jakob steckt auch in einem cremefarbenen Smoking. Zu ihrer Rechten sitzen Siegmar und Mario in zu großen schwarzen Anzügen von C&A. Die Standesbeamtin bittet die Trauzeugen, die dunklen Brillen abzunehmen. Im Gegensatz zu Mo und Jasper darf der Staatsratsvorsitzende seine Brille aufbehalten. Nach den Unterschriften legt die Beamtin »Ballade pour Adeline« auf, gespielt von Richard Claydermann. Eva weint, und Jakob reicht seiner Großmutter einen Zettel. Darauf steht: »Malefiz ist kein cooles Geschenk. Trotzdem danke.« Nach der standesamtlichen Trauung fragt Frank, wo nur Onkel Viktor bleibe.
Auch zur Kirche kommt er nicht. »Die Schweine werden ihn nicht reingelassen haben«, sagt Frank bitter. – »Komm«, sagt Eva, »wir werden für ihn beten, und vielleicht kommt er ja noch.« – Nein, denkt sie. Der kommt nicht mehr, der hat nicht den Mumm. Sicher ist sie sich nicht.
Auf der Orgel in der Dorfkirche wird Bach gespielt. Zur Begrüßung der preußischen Gäste seien die Brandenburgischen Konzerte besonders geeignet, erklärt der Pfarrer. Es sei eine festliche Musik, eine weltliche zwar, aber sie erhebe die Herzen. Tiefe Bassstöße und
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