Das halbe Haus: Roman (German Edition)
»Das alles wäre nicht passiert, wenn Anita mich nicht animiert hätte – Anita, wo bist du?« Er schirmt seine Augen ab und prostet einer kessen kleinen Frau zu, die zurückprostet.
»Aber ich habe sie gezogen«, ruft die junge Frau neben ihr.
»Dann danke ich auch dir, Monika. Und ich danke den Berlinern, die sich hier so mächtig ins Zeug gelegt haben. Vor allem danke ich dem Minchen. Wenn es nicht klappt mit der Eva, dann nehme ich dich.« Er küsst das entrüstete Kind auf den Mund, es wird fortwährend gelacht.
Als sich Frank setzt, steht Eva auf. Sie sagt nur einen Satz: »Es war sehr kalt in meinem Haus, doch hier brennt ein Feuer.«
Frank, dieser blöde Bengel, steht wieder auf, und wieder küssen sie sich. Er gibt ihr einen Schmatz, wie Katja gesagt hätte. Dann wird getrunken. Auf uns. Auf die Liebe. Auf die Gesundheit. Auf die Kinder, besonders auf das Minchen. Auf die, die gegangen und gefahren sind. Auf die Freundschaft. Auf das Feuer, darauf, dass unsere Herzen immer stolz und tapfer brennen mögen. Auf den Mangel und die Katzen, auf die, die geblieben sind, auf die Bäuche der Männer, auf den Tanz und den Wein, Freunde, auf die Worte, die wahren und schönen, überhaupt: auf die Schönheit und das Rauchen und die Höcker der Kamele – und die der … na, ihr wisst schon. Auf den Zimt von Ceylon oder Sri Lanka, auf die weißen und auch auf die schwarzen Katzen, auf die Körperertüchtigung, auf das Fahren in alten Autos durch grüne Alleen, so jung kommen wir nicht mehr zusammen, Freunde. Auf die Ideen, aber auch auf die Dinge, denn die sind genauso wichtig wie die Ideen. Auf die Natur und den Menschen und auf die Natur des Menschen. Auf die Arbeiterklasse und den lieben Gott, der das alles erschaffen hat und dann in Rente gegangen ist. Auf die Frau Welt und den Vogel federlos und sogar auf den Sozialismus. Auf den Wind, das himmlische Kind, auf Kleider, die Leute machen, auf das Jenseits, das Diesseits und die Hölle, die es ja gar nicht gibt. Auf die Preußen und die Sachsen und den Wohlklang ihrer Sprachen, und, Freunde, nicht zuletzt: auf die Musik.
Und jetzt wird gesungen. Den Anfang macht Mo mit seinem Seemannsbariton: »Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, ob du’n Mädel hast oder ob keins.« Die Sonnenblumenfrau löst ihn ab mit einem Reutterschen Couplet: »Nehm’ Se’n Alten!« Es werden Jacken und Decken geholt, denn der Mond hat tatsächlich Kälte gebracht. Der schwere Wirt von der Johannaburg singt zart und schön: »In der Straße, mein Schatz, wo du wohnst.« Jetzt fasst sich Cora ein Herz. Sie streicht ihr Haar zurück und singt nicht minder zart: «Yesterday.« Dann singt sie: »Brüderlein und Schwesterlein« von Johann Strauss. Alle sind ganz still geworden, und niemandem will ein passender Anschluss einfallen, bis sich die Brautjungfern und Eva im Halbkreis aufstellen. Rhythmisch beginnen sie zu klatschen. Eine summt, die anderen summen mit, und Eva sagt: »Oh happy day.« Sie sagt: »When Jesus washed.« – Die anderen antworten: »When he washed.« – Sie sagt: «When Jesus washed.« – Die anderen: »When he washed.« – Sie: »He washed my sins away.« – Die anderen: «Oh happy day.« – Sie: «Lord, it was a happy day.« Die Gäste jubeln und fordern eine Zugabe, die nach kurzer Beratung erfolgt: »Swing low, sweet chariot, comin’ for to carry me home.«
Inzwischen hat Frank die Gitarre geholt und Jasper die Mundharmonika. Sie spielen zwei, drei Mississippisongs. Dann spielen sie zwei schnellere Bluesnummern. Die Sonnenblumenfrau hat sich auf Mos Schoß gesetzt. Als alle glauben, dass nun nichts Großartiges mehr kommen kann, rücken Franks Arbeitskolleginnen zusammen und pfeffern in die Nacht: »Dor Saggse liebt das Reisen sehr, un ihm liecht das in’n Gnochen, drum fährt er gerne hin un her in sein’n drei Urlaubswochn. Bis nunder nach Bulgarchen dud er de Welt beschnarchen.« Selbst die Preußen stimmen in den Refrain ein: »Sing, mei Saggse, sing! Es ist en eichen Ding un ooch ä düchtches Glück um d’n Zauber der Musik. Schon des gleenste Lied, des leecht sich off’s Gemüt, un macht dich oochenblicklich zufriedn, ruhich und glicklich!«
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Im Juni 1941 sagt Viktor Friedrich viel Regen voraus. Er sagt, der Untergang der Welt stehe bevor. Wie ein Dieb in der Nacht werde der Tag kommen, da die Himmel zergehen. Die Elemente würden schmelzen, und die Erde würde verbrennen.
Sein Bruder lacht nur. Es geht voran, sagt er. »Wir
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