Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
Vom Netzwerk:
überrollen den liederlichen Russen. Petersburg und Moskau werden in Kürze dem Erdboden gleichgemacht, wir retten die Welt vor der bolschewistischen Bestie. Das Fräulein Polina kennt sich doch aus mit den Russen, hat doch tapfer unter ihnen gelebt. Sie kann doch aus erster Hand sagen, wie dankbar die Welt dem Führer sein darf.«
    »Das Fräulein Polina«, sagt Viktor, »hat zu tun und ist übrigens mit einem Frontkämpfer verlobt. Wann meldest du dich?« – »Ich«, sagt Horst, »werde hier gebraucht.« – »Wofür?« – »Um mit dem Fräulein Polina ins Kino zu gehen.«
    »Geh ruhig«, sagt Liesl. »Im Grunde ist er ein guter Kerl, und vor allem ist er gut gestellt.« Beides ist unwahr.
    Im Kino läuft »Friedemann Bach« mit Camilla Horn und Gustaf Gründgens, dem Generalintendanten. Horst möchte aber »Kampfgeschwader Lützow« und wieder und wieder »Stukas« sehen. Er trägt jetzt auch ein Halstuch. Er will »Jud Süß« mit Kristina Söderbaum und Heinrich George sehen und »Reitet für Deutschland« mit Willy Birgel. Sie mag lieber »Hauptsache glücklich« mit Heinz Rühmann und Hertha Feiler, auch wenn dieser Film nicht staatspolitisch oder volkstümlich wertvoll oder jugendwert ist. Er erwärmt bloß das Herz und bringt allerdings Horst Friedrich auf Ideen. Sie wischt seine Hand von ihrem Knie.
    Im Vorspann läuft die Deutsche Wochenschau, schmetternde Fanfaren und schnarrende Berichte von den Erfolgen an der Ostfront. Im Juli werden erste Luftangriffe auf Moskau geflogen. Auf 150   Kilometer können die Piloten der zweiten Angriffswelle das Flammenmeer sehen. Der Russe antwortet mit schwerer Fliegerabwehr, aber unsere Piloten behaupten sich in einem heldenhaften Kampf. Mit Unterstützung der Rumänen stößt die Heeresgruppe Süd zum Schwarzen Meer vor. Scheunen brennen, Panzer fahren durchs Korn, junge Frauen in Kopftüchern verbergen Kinder unter ihren Schürzen, Frauen ihres Alters. In zwei großen Kesselschlachten bei Uman und Kiew wird der Iwan aufgerieben. Nach der Einnahme Odessas im Oktober dringen unsere Truppen bis zur Krim vor.
    Tati ist heiter. Er sagt, sie könnten bald zurückkehren. Er sagt, sie solle auf die Rückkehr ihres Bräutigams warten, der ihre Heimat für sie zurückerobere. Es gebe keinen Grund, dem Werben eines Stutzers und Weiberhelden nachzugeben, bald seien sie wieder wer, sagt er, keine Verjagten und Heimatlosen mehr. Er untersagt es seiner Frau, einen Nagel in die Wand zu schlagen.
    Noch im Sommer ist das Lyzeum zum Lazarett geworden, wegen Einberufungen haben Geschäfte geschlossen, und im September ist der Davidstern aufgegangen. In den Ausflugsgaststätten sind Israel und Sara nicht erwünscht, auf den Bänken nicht, im Theater nicht, und Horst sagt zu Liesl: »Willst du ein deutsches Mädel sein, lass dich nicht mit Juden ein.« Liesl hat sich mit Viktor eingelassen. Sie erzählt, in der Berliner Hedwigskathedrale amtiere ein Kaplan mit Judenstern am Messgewand. Auch Pfarrer Schulz gehört zu den Juden.
    Am 26.   September endet die Kesselschlacht um Kiew mit dem bisher größten Erfolg der Wehrmacht. Der Gegner erleidet unvorstellbar blutige Verluste, über eine halbe Million Feinde kommen in deutsche Kriegsgefangenschaft, zwölfmal so viele Menschen, wie das Städtchen Einwohner hat. Weitere Erfolge bahnen sich an, die Operationen laufen planmäßig. Sondermeldung, Trommelwirbel, Fanfaren, Pause, Lieder der Nation, dann: neue Schlachtenerfolge. Am 10. Oktober meldet das Oberkommando der Wehrmacht auf einer Pressekonferenz, dass der Feldzug im Osten gewonnen sei.
    Arthur kann diesen Irrsinn, diesen Blutrausch nicht mehr ertragen, aber Tati sagt: »Wenn ich deine Jahre und noch keinen Krieg erlebt hätte, hätte ich mich längst aufgemacht gen Osten, so wie der Stocker Emil, und hätte unser Land zurückgeholt.«
    Arthur sagt: »Wir sind eingefallen in das friedliche Land der Bauern und Arbeiter, wir brandschatzen und morden.«
    Tati atmet mit den Ohren und spricht mit dem Mund: »Was die Russen mit uns gemacht hätten, wenn wir geblieben wären, das weißt du wohl. Geschändet hätten sie unsere Frauen, unsere Höfe und unser Vieh hätten sie uns genommen, und wir hätten gehen müssen nach Sibirien oder Kasachstan. Es sind keine Menschen.«
    Arthur sagt: »Es sind Menschen wie wir, aus Fleisch und Blut, und sie haben sich erhoben gegen ihre Unterdrücker. Siegen wird der Sowjetmensch.«
    Tati schreit: »Rädä deitsch, du dummer Bängel!«
    Katja sagt:

Weitere Kostenlose Bücher