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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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aus.« Frank zeigt auf zwei Männer mit Hut und Aktentasche.
    »Ich bitte um Entschuldigung, dass ich dir das zugemutet habe«, sagt Eva und stößt sich vom Geländer ab.
    »Das einzig Gute ist, dass man die Nachrichten am Springer-Haus lesen kann«, ruft er ihr nach. Die zwei Knilche sollen es ruhig hören, doch sie drehen sich nicht um.
    Unter der Brücke treten drei Gestalten hervor, ein Mädchen, zwei Jungs. Die Jungs tragen einen Bierkasten. Aus dem Hauseingang fällt ein gelber Fetzen Licht, und kurz ist das bleiche Gesicht des Mädchens zu erkennen, bevor die Nacht in ihr Gesicht greift. Eine Bierflasche zersplittert.
    Über den nassen Asphalt geht Frank zum Auto, vor dem Eva wartet, die Arme verschränkt. »Was sehen wir uns als Nächstes an?«
    »Es ist nicht weit, aber ganz anders«, sagt sie kühl. Im Auto schaltet sie das Leselicht neben dem Rückspiegel ein. »Tucholskystraße, Altbau, drei große Zimmer, Küche mit Speisekammer, Mädchenkammer, großer Keller, keine AWG -Kosten.«
    »Wo ist der Haken?«
    »Werden wir ja sehen.«
    Doch es gibt keinen Haken. Zwar ist das Haus baufällig, aber alle Häuser sind baufällig. Und obwohl es keine Heizung in der Küche gibt und in einem der Zimmer nur einen Kachelofen (aber was für einen: einen mit Wappen!), verfügen die zwei großen Zimmer über elektrische Nachtspeicherheizungen. Im Bad stehen eine Wanne mit Löwenfüßen und ein schlanker Badeofen. Die Fenster sind groß, und selbst die Mädchenkammer hat ein schmales Oberlicht. Eigentlich ist es eine Vierraumwohnung. Eine mit hohen Decken, Stuck, Flügeltüren und Eichenparkett. Die Himmelsrichtung ist Westen, es gäbe also Nachmittagssonne. Eva kann ihr Glück kaum fassen.
    Die Mieterin der Wohnung heißt Anna Trunckbrodt und ist eine sehr kleine Dame, die Pulswärmer, eine runde Brille und einen dünnen grauen Dutt trägt. Besorgt fragt sie, ob den Herrschaften die Wohnung auch gefalle.
    »Sie ist hinreißend«, schwärmt Eva. »Nicht wahr, Frank?«
    Frank steht vor einer dunkelrot gestrichenen Wand, an der von unten bis oben Dutzende Puppen mit Rüschenkleidern und Porzellangesichtern hängen. Es sieht aus wie ein vertikaler Puppenfriedhof. »Was ist das?«, fragt er die kleine Dame.
    »Das war mein Hobby«, antwortet sie. »Das Hobby meines Mannes ist nebenan.«
    Nebenan gibt es eine dunkelblau gestrichene Wand, an der von unten bis oben Dutzende Flaschen mit Buddelschiffen befestigt sind. Ein vertikaler Schiffsfriedhof.
    »Er hat sie alle selbst gebaut, aus Zündhölzern«, erklärt die kleine Dame. »Jeder hatte seins, so haben wir es bis zum Schluss gut miteinander ausgehalten. Darauf muss man schon achten«, sagt sie, einen hellen Finger hebend, »dass es gerecht zugeht und dass jeder seins hat.«
    »Wie wär’s mit Klöppeln«, flüstert Frank Eva zu, die Tränen der Rührung in den Augen hat.
    »Es wird natürlich alles vorher entsorgt«, sagt die Dame, »falls Ihnen diese Wohnung zusagt.«
    Nun ist Eva gar nicht mehr froh.
    »Es nützt ja nichts«, sagt die kleine Dame. »Was soll ich denn alleine weitermachen mit den Puppen? Oder glauben Sie, dass sich heutzutage noch jemand für Buddelschiffe interessiert?«
    »Na, dann finden Sie eben einen mit Briefmarken«, sagt Frank.
    »Ach«, winkt die kleine Dame ab, »ich war immer bloß für Buddelschiffe.«
    »Die Tauschwohnung ist wirklich gut«, sagt Frank, ohne sie je gesehen zu haben. »Einkaufsgünstig, ebenerdig, preiswert.«
    »Ja«, sagt die kleine Dame, »das ist schön.«
    »Dann wollen Sie die Wohnung gleich morgen besichtigen?«, schlägt Eva vor. »Am Nachmittag?«
    »Übermorgen wäre mir lieber«, sagt die kleine Dame. »Da besuche ich ohnehin mein Enkelchen, in derselben Straße.«
    »Sind Sie zum ersten Mal Großmutter geworden?«, fragt Frank aus Höflichkeit.
    »Oma bin ich schon elfmal, aber zum ersten Mal Uroma«, lächelt die Dame. »Familie«, fährt sie ernst fort und hebt wieder ihren hellen Finger, »ist das Wichtigste auf der Welt. Wenn Sie eine Familie haben, die zusammenhält, kann Ihnen nichts passieren.«
    Mit kurzen Schritten bringt sie Eva und Frank zur Tür. »Ich habe in dieser Wohnung das Licht der Welt erblickt«, sagt sie zum Abschied.
    Aus der Telefonzelle an der Kleinen Hamburger Straße ruft Eva das Schwein an. Sie steht im matten Licht des Glaskastens und wickelt das Kabel um ihren Finger.
    ★
    Dr. Unger bittet dich, auf dem braunen Lederstuhl vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Im Westen setzt man

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