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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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doch nicht so sehr auf die Konsum-, sondern auf die Meinungs- und die Pressefreiheit an: die Presse nicht als Sprachrohr, vielmehr als Kontrollinstanz der Politik. Und der SPIEGEL ist die Kontrollinstanz schlechthin, hier wird alles ohne falschen Zweck aufgedeckt, nicht wahr: Dass vor Breschnews Tod zum Beispiel drei Parteisekretäre, zwei Ideologen, ein Kybernetiker, der Vize-Atomminister, zwei politische Kommissare, der Premier von Georgien und der Vizechef des KGB -Grenzschutzes einfach so starben. Danach waren die Machtverhältnisse geklärt, und mit Breschnews Ableben am 10.   November war also der Weg frei für Juri Andropow. Diese Zusammenhänge und Machtkämpfe blieben euch im Osten natürlich verborgen, wo man euch für dumm verkauft. Am 10.   November, da hast du für Jakob und seine Gäste einen Kinderpunsch bereitet und einen Käseigel gebaut. Tags darauf wolltet ihr um 11   Uhr   11 in der Abteilung die Korken knallen lassen. Anita hatte schon die Hütchen und die Nasen verteilt, denn die Welt wusste noch nichts von Breschnews Ende, doch Langrock kam euch zuvor und überbrachte die Nachricht. Er verbat sich und euch das Feiern, worauf du sagtest: Jetzt gibt es aber zwei Gründe! Mit Anita, Monika und einem Disponenten habt ihr euch dann im Bunker verschanzt und immer wieder Na sdorowje! gerufen und das Bruderland hochleben lassen. Im anderen Bruderland, in Polen, bringen Geheimverhandlungen zwischen Kirche und Staat Lech Wałęsa die Freiheit, wie du dem SPIEGEL entnimmst, der nichts verschweigt und alles sorgfältig berichtet. Ich bin ungebrochen, sagt Wałęsa. Christiane F. ist auch ungebrochen und macht jetzt Musik. Auf ihrer ersten Maxi-Single ironisiert sie ihre Heroinsucht und singt: Ick bin so süchtig, dein Lenkrad zu fühlen, woher weiß der SPIEGEL nur solche Sachen. Biermann singt auch wieder. Von aufmerksamen Medien begleitet, reist er durch 26 westdeutsche Städte. Lieber Gott im Herzen als Marx im Arsch, droht er, der Racheengel, den ganzen linken Friedensheuchlern von der DKP . Und in der Rubrik Kultur stellt der SPIEGEL den ersten Fressführer durch die DDR vor. Demnach steht die Ausflugsgaststätte Müggelsee-Perle in Küche und Service weit über dem Landesdurchschnitt, während Auerbachs Keller bloß lauwarm abschneidet. Das Puschkin und die Parkgaststätte finden keine Erwähnung, und das Ministerium für Handel und Versorgung nennt das Werk eine Unverschämtheit. Aber es gibt auch Annäherung: Bundespräsident Carl Carstens und DDR -Staatschef Erich Honecker nutzen ihre Teilnahme an den Trauerfeierlichkeiten für Leonid Breschnew in Moskau, um über den deutsch-deutschen Reiseverkehr zu sprechen. Carstens bittet um bessere Reisemöglichkeiten für DDR -Bürger. Honecker antwortet zwar mit dem Hinweis auf höhere Devisenkosten, die den Westwünschen entgegenstünden, dennoch sagen die Bonner nach dem Gespräch: Da kann sich was bewegen. Indes macht Neukanzler Kohl in Washington klar, dass er Neuwahlen auch deshalb will, um für die Stationierung amerikanischer Atomraketen ein klares Votum zu erhalten. Für die SPD soll Vogel ins Rennen gehen. Ansonsten weiß der SPIEGEL zu berichten, dass im Wismarer Hafen Werktätige für schmutzige Arbeit mit Westgeld entschädigt werden, wie du gerade noch wahrnimmst, denn ein Mann in grauem Anzug steht plötzlich vor dir. »Herr Friedrich?«, sagt der Mann, der durch die Nase spricht. »Ich bin Dr. Unger von der Rechtsabteilung. Wenn Sie mir bitte den Gang entlang folgen würden?« Der Mann und Pfeiffer schauen dir dabei zu, wie du den SPIEGEL weglegst und dich aus dem Polster drückst. Du reichst Dr. Unger die Hand, die dieser zögernd nimmt, und gehst ihm nach. Weil du deine Handgelenktasche vergessen hast, musst du noch einmal umkehren. Über den Rand seines Automagazins beobachtet Pfeiffer, wie du fünf Stuyvesant aus dem Zigarettenbecher klaubst. »Bis später«, sagst du. – »In Freiheit«, sagt er.
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    »Ich bin echt kein WBS -Sibzsch-Typ«, sagt Frank, als sie wieder auf der Gertraudenbrücke stehen und auf das Schleusenhäuschen blicken. Das Hochhaus, in dessen fünfzehntem Stock sie eben eine Wohnung besichtigt haben, wirft seine Lichter auf den schwarzen Fluss. »Dieser schlimme Küchenverschlag mit Durchreiche. Die ganze Bude völlig überhitzt dank Fernwärme, und der PVC im Flur stinkt wie Leuna. Arbeiterschließfach, das, oder von mir aus Bonzenschließfach. Nebenan das Haus des ZK , und so sehen die Gestalten hier auch

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