Das halbe Haus: Roman (German Edition)
hervor und nimmt an der langen Tafel Platz. Über euren Köpfen streuen Neonröhren ihr hartes Licht. »Hier können wir ungestört reden«, sagt Unger, nun nicht mehr durch die Nase sprechend. »Das ist unser abhörsicherer Raum.« – »Sieht aus wie eine Sauna«, sagst du. – »Ja«, lächelt Unger, »so warm wird es hier auch. Wir gehen nämlich davon aus, dass die Stasi unsere Büros verwanzt hat oder ihre Richtmikrofone auf uns hält. Darum haben wir diesen faradayschen Käfig bauen lassen. Alle wichtigen Dinge werden hier besprochen.« – »Was ist denn plötzlich so wichtig?«, fragst du. – »Der Name Devrient«, sagt Unger. Bevor du nachfragen kannst, ertönt ein Signalton, und das Lämpchen neben der Tür leuchtet auf. Unger geht zur Tür und lässt eine große Frau mit Bluse und plissiertem Rock ein. Die Frau nickt dir freundlich zu, stellt ein Tablett auf dem langen Tisch ab, verteilt Unterteller und Tassen und schenkt dir, Unger und sich Kaffee aus einer chromglänzenden Kanne ein. Dann setzt sie sich links neben dich. »Herr Friedrich«, seufzt sie, »weiß Ihre Frau von Ihrem Ausreiseantrag?« Du musterst die Frau, deren Alter schwer zu schätzen ist. Sie hat kurz geschnittene Fingernägel und trägt außer einem Siegelring keinen Schmuck. – »Natürlich«, antwortest du. – »Will Ihre Frau auch ausreisen?«, fragt die fremde Frau. – »Meine Frau«, sagst du ohne Überzeugung, »geht dahin, wo ich hingehe.« – »Das dürfte schwerlich klappen«, sagt die Frau und blickt dich steingrau an. – »Wieso«, sagst du und fragst dich, ob sie dein Hinterstübchen verwanzt haben, die Typen von der Ständigen Vertretung. – »Dr. Unger, bitte«, sagt die Frau, lehnt sich zurück und führt ihre Kaffeetasse zum Mund.
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Drei Frauen mit einem Baby warten vor dem Haus Nummer 44. Das Baby schläft in einem Wickeltuch, das sich seine junge Mutter, die selbst noch ein Kindsgesicht hat, um den Körper gewunden hat. Es ist ein sterbensgrauer Sonntag.
»Meine Frau lässt sich entschuldigen«, sagt Frank Friedrich und gibt den Frauen die Hand. »Es geht ihr nicht gut, sie bat mich, Ihnen die Wohnung zu zeigen.«
»Was hat sie denn?«, fragt die alte Frau Trunckbrodt besorgt.
»Kopfschmerzen«, sagt Frank und öffnet die Haustür mithilfe eines Durchsteckschlüssels. Gleich links liegt die Wohnung. Mit einem Schnalzen springt das Licht an. Eva hat ihm gesagt, dass Leonores Vater ihr versprochen habe, sein Zimmer zu öffnen und aufzuräumen. Natürlich sei er nicht anwesend.
Dennoch pulst das Blut in Franks Ohren. Er schließt die Tür auf, das Baby gibt einen Laut von sich, die Tür öffnet sich einen Spaltbreit und prallt zurück. Das Baby weint. Die Tür ist angekettet.
Auf dem Klingelschild steht nur der Name Devrient.
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»Die Devrients«, sagt Unger, »sind sozusagen preußischer Uradel. Das ist eine alte hugenottische Familie, die seit Generationen dem Staat dient, egal, wer gerade über Preußen herrscht. Die Laufbahn ist immer gleich: Graues Kloster, Militär, Jurisprudenz, Synode, Partei, Staatsapparat.« – »Nicht wahr, Dr. Unger?«, sagt die Frau und lächelt kaum merklich. – »Im Fall von Devrient«, fährt Unger verschnupft fort, »kam der Krieg dazwischen.« – »Nun, der Krieg kommt ja immer dazwischen«, wendet die Frau ein. »Sagen wir so: Die Nazis kamen dazwischen. Devrients emigrieren in die Schweiz, es gibt befreundete Bankiers. Die Schweiz aber ist ein unsicherer Kantonist, ha, also weiter nach London. Dieter Devrient ist der Benjamin, das Nesthäkchen, noch keine achtzehn. Geige, Aktzeichnen, Enemy Alien. Wie kommt so einer zu den Kommunisten? Dank Einsamkeit und Exil.« Die Frau wirkt betrübt. »Als es ungemütlich wird für die Deutschen in England, flieht Devrient allein nach Moskau. Dort Komintern und KPD , Arbeit als Modellbauer, Heirat mit Jekaterina, einer Funktionärstochter. Im Mai fünfundvierzig Rückkehr nach Deutschland.« – »Wer ist Dieter Devrient?«, fragst du. – »Der Schwiegervater Ihrer Gattin«, sagt die Frau, »also der Ex-Schwiegervater.« – »Und der Großvater Ihrer Ziehtochter«, ergänzt Unger und nimmt den Faden auf: »Nach fünfundvierzig das Übliche, soweit bekannt: MfS, SED , Spionageabwehr, Diplom-Jurist, Geburt dreier Kinder: Tatjana, Timur und Thomas. Promotion an der JHS Potsdam, ein paar Jahre später Promotion zum Dr. phil. an der Humboldt, zur selben Zeit, als sein Sohn Thomas dort studiert.« – »Der
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