Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Exmann Ihrer Gattin«, erklärt die Frau. – »Heute«, fährt Unger fort, »ist Devrient Generalmajor und verantwortlich für die militärische Aufklärung gegen uns, die Staaten und die NATO . Er ist einer der wichtigsten Männer des Apparats. Trotzdem Fagott und Lyrik. Ein kultivierter, weltgewandter Mann, gern gesehener Jagdgast in der Schorfheide beim Generalsekretär oder bei Theaterpremieren.« – » KMO und VVO in Gold«, sagt die Frau, »unser Feind.« – »Woher wissen Sie das alles?«, lachst du, der du nicht mal die Hälfte verstanden hast. »Und warum erzählen Sie mir diese James-Bond-Geschichten?« – »Seien Sie doch nicht naiv«, erwidert die Frau mit dem grauen Blick. »Glauben Sie, wir überlassen denen das Feld?« – »Sie sind …«, sagst du und suchst nach dem richtigen Begriff, »… von der West-Stasi.« Du merkst, dass du seit geraumer Zeit schwitzt. – »Ich darf doch bitten«, sagt Unger. – »Wir versuchen nur«, sagt die Frau, »alle fried- und freiheitsliebenden Deutschen zu schützen.« Sie steht auf. »Unger, öffnen Sie diese Schwitzhütte.« Dr. Unger geht zur Tür und drückt einen Knopf. »Wir helfen Ihnen gern«, sagt die Frau, »lieber Herr Friedrich.« Da ist er wieder, dieser Herr Friedrich, der dir nicht geheuer ist. Du musst an den ABV denken, der dir den Herrn in der letzten Faschingssaison vor die Füße gespuckt hat, und soeben hat man ihn dir mit etwas Gift gereicht. »Sie haben nicht irgendwen geheiratet«, sagt die Frau. Von außen wird die Tür geöffnet. – »Eva«, sagst du, »ist ihr eigener Mensch.« – »Sehen Sie«, sagt die Frau, »das versuchen wir Ihnen gerade zu erklären: Sie ist mitnichten ihr eigener Mensch.« – »Sie ist geschieden und hat sich von diesen Leuten losgesagt«, sagst du und fragst dich, ob sie dir zu verstehen geben wollen, dass du nicht dein eigener Mensch bist, obwohl sie deiner unverbrüchlichen Freiheit zu ihrem Recht verhelfen sollen. – »Wie gesagt, Herr Friedrich, wir helfen Ihnen gern«, wiederholt die Frau und verlässt den Raum. Du siehst diesem Unger ins Gesicht, er sieht weg. »Was passiert mit meinem Fragebogen?« – »Der geht sofort nach West-Berlin und von da an einen Staatssekretär im BMB , der sich um die Lösung humanitärer Fragen kümmert.« Du nimmst deine Tasche und schüttelst den Kopf. Du bist ein ganz kleines Tier, womöglich eine Wanze. In der Halle wartet inzwischen ein Dutzend Menschen, Männer und Frauen, paarweise und allein. Sie sitzen in den Polstern und haben ihre Köpfe in Nachrichtenmagazine und Autohefte gesteckt. Sie sehen dich nicht. Rüdiger Pfeiffer ist nicht darunter. Unger reicht dir die Hand und sagt: »Lassen Sie sich von uns helfen, Herr Friedrich.« Eine Schleuse und zwei Stufen später bist du wieder im Osten. Ein Mercedes parkt vor dem weißen Haus, und ein eleganter Mann erwartet dich. »May I see your passport, Sir?«, sagt er. Du kramst eine Stuyvesant aus der Tasche, sie ist geknickt. Du brichst eine Hälfte ab und suchst vergeblich nach einem Feuerzeug. Es ist ja Pfeiffers Parka, den du trägst. Der Mann gibt dir Feuer.
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Berlin, die Hauptstadt der DDR , wird mit jedem Jahr schöner. Überzeugen Sie sich selbst davon!
16. Helsinki
Frank Friedrich
L., den 11.12.1982
Regenstr. 27
7030 L.
Kanzlei des Staatsrates der DDR
Abt. Eingaben der Bürger
102 Berlin
Marx-Engels-Platz
Betreff: Antragstellung auf Familienzusammenführung und Ausreise aus der DDR
Am 1. Dez. 1982 stellte ich wiederholt o. g. Antrag für meinen Sohn Jakob Friedrich, meine Frau Eva Friedrich, geb. Meyenburg, ihre Tochter Leonore Devrient und für mich beim zuständigen Stadtbezirk. Daraufhin wurde ich zum 9. Dez. 1982 vorgeladen. Der Stellvertreter des Inneren, Herr Diesel vom Stadtbezirk Süd, lehnte den Antrag ab, ohne sich die Mühe zu machen, eine eindeutige Begründung dafür zu geben. In all den Jahren meiner vergeblichen Antragstellung hielt das keine der zuständigen Stellen oder Personen für nötig. Dabei verstößt der ablehnende Bescheid gegen Geist und Wort der UN-Charta und der KSZE von Helsinki. Der lapidaren Begründung des Herrn Diesel, daß es kein Gesetz der DDR gibt, das eine Ausreise gestattet, möchte ich das Interview E. Honeckers mit der „Saarbrücker Zeitung“ entgegenstellen, wo es in Beantwortung der dritten Frage heißt: „Die DDR hält sich an das Völkerrecht … Völkerrecht geht vor Landesrecht.“
Das ist
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