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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Heldenmut: Volkszorn und Grips seien die Gebote der Stunde. »Packt eure Sachen, und macht euch aus dem Staub. Die Front«, sagte er, »ist nur noch zehn Tage entfernt.«
    In der Dämmerung kam der Vater vom Schanzenbau nach Hause. Er trug Spaten und Hacke in den Keller des Häuschens, das sie vor drei Jahren sehr günstig von sehr hastigen Leutchen gekauft hatten. Das bisschen Grün drumherum hatten sie auf hundert Jahre gepachtet. »Früher hast du den Boden umgegraben, um zu säen«, sagte Arthur, der am Kopf des Tischs saß und Tee rauchte. – »Welch hoher Besuch«, sagte Tati und wusch im Spülstein Gesicht und Hände, »kommt der Klassenkampf heut ohne dich aus.«
    Das Häuschen lag auf der Ostseite des Flusses. Es war gemütlich. Sie hatten Tisch und Anrichte und sogar das eingeweckte Obst übernommen, auch fünf große Glasballons mit Johannisbeer- und Pflaumenwein, alles war wirklich sehr günstig und sofort zu gebrauchen gewesen. Nur der Türpfosten musste gespachtelt und lackiert werden wegen des kleinen Dings, der kleinen Kapsel, die die Leutchen beim Abschied eilig geküsst und dann abgerissen hatten. Im Gärtchen standen eine Laube und ein Kirschbaum, das Kleinvieh machte Mist.
    »Wir«, sagte Tati, »haben hier Wurzeln geschlagen und werden kein zweites Mal Hab und Gut lassen. Wir haben doppelt dafür bezahlt.« Arthur hätte nun so einiges erklären können über das Schlagen von Wurzeln und das Bezahlen. Er war kleiner, aber viel kräftiger als der Vater, der am Ende seines sechsundfünfzigsten Jahres aussah wie am Ende des siebzigsten: riesige Ohren am Schädel auf dünnem Hals. Doch Arthur gab den Platz am Kopf des Tisches frei und sagte bloß: »Das letzte Hemd hat keine Taschen, an welchen Besitz klammert ihr euch. Habt ihr denn vergessen, wie schnell es gehen kann.«
    »Den Russen, mit denen du es hältst«, sagte der Vater und setzte sich mit seinem eisigen Hintern auf den gewärmten Stuhl, »werd ich nimmermehr was überlassen. Sie werden es mir aus den Händen reißen müssen.«
    »Nicht die Sowjets werden es euch nehmen. Hitler hat es euch längst genommen, heute vor zwölf Jahren und noch mal vor viereinhalb.« An diesem 30. Januar hatte Goebbels nur sechzehn Minuten gefaselt, während er in früheren Jahren drei Stunden lang aus dem Empfänger geschrien hatte.
    »Rädä deitsch«, sagte Tati zu seinem Sohn. Der hätte nun einiges sagen können über das schlechte, das ungepflegte Deutsch, dem endlich die Luft ausging, doch er sagte nur: »Das tu ich doch, Vater. Seht zu, dass ihr rauskommt. In ein, zwei Wochen sind sie da.«
    »Es sind keine Menschen«, sagte der Vater und schüttelte den Schädel.
    »Rache ist menschlich«, sagte Arthur, »nehmt die Mädel und nur das Nötigste.«
    »Wären es Menschen«, sagte der Vater, »wärst du nicht hier.« Katja verdunkelte die Fenster und zündete eine Kerze an.
    Durch schwarze Straßen ging Arthur zu Polinas Wohnung auf der anderen Seite des Flusses. Windeln trockneten am Kachelofen, und die große Schwester sagte Ball, Baum, Frosch. Sie sang vom Mond, der aufgegangen war, sie schaukelte einen Weidenkorb auf Kufen. Mit Leib und Seele war sie eine Mutter und wollte nicht wahrhaben, dass sie auch eine Tochter und Schwester war.
    Auf dem Papier war sie noch eine Ehefrau, etwa in den Briefen, die Horst Friedrich mit »Dein Mann« enden ließ. Am 20. Juli des vergangenen Jahres hatte er ihr geschrieben, dass der geliebte Führer gottlob unverletzt geblieben sei. Die Vorsehung meine es also doch gut mit dem deutschen Volke. Er und seine Kameraden, schrieb der Fliegerhauptmann Horst Friedrich, würden nun gestärkt die vor ihnen liegenden Aufgaben im Osten angehen. Schwere Aufgaben seien das, über die sich nicht sprechen lasse. Bald aber würden sich die Dinge zum Bessern wenden. Mit deutschem Gruße, Dein Mann. Zu ihrem Geburtstag schrieb er, dass sie lediglich Raum gegen Zeit eintauschen würden zum Vorbereiten des Gegenschlags. Bald würden sich die Dinge zum Bessern wenden. Mit deutschem Gruße, Dein Mann. Sie schickte Lichtbilder von Rudolf auf dem Eisbärfell. Die Abzüge klebte sie in das Album aus schwarzem Kaliko.
    Tatsächlich wendeten sich die Dinge nach Weihnachten zum Bessern: Die Russen eroberten Beuthen, Kattowitz und Königshütte und hatten so das gesamte oberschlesische Industriegebiet in ihre Hand gebracht. Litzmannstadt hieß wieder Łodz´, und bald würde die Rote Armee die Oderlinie und gewiss auch das Städtchen erreichen,

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