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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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erinnerst du dich.
    Bei Kafka, den man nur unter der Hand lesen kann, geht es in erster Linie gar nicht um die Strafinstanzen, um das Monströse der Urteilsbürokratie, die sogenannte äußere Ungerechtigkeit. In erster Linie geht es bei Kafka um die Selbstsucht des Beschuldigten, von ihm aus beurteilt. Lesen darf man hier nicht.
    Selbst der größte Schriftsteller kann den Knast immer nur als den Knast beschreiben und den Häftling immer nur als den Häftling. Dem Knast ist nichts abzugewinnen, zum Knast ist alles gesagt, seit Generationen erleben alle im Bau das Gleiche, von Giacomo Casanova über Angela Davis bis Nelson Mandela. So viele Stäbe, so viele eiserne Türen, so schlechtes Essen, die immer gleiche Hitze und Kälte, die immer gleichen Wächter und Vernehmer, so viele zufallende Luken, so viele asservierte Schlüssel, Uhren, Feuerzeuge, so viel Solidarität mit Fliegen, Mäusen, Schaben, Tauben, Ratten, so lange schon. Ja, der Kreislauf der Freiheitsberaubung.
    Kippe all deine Empfindungen, dein Schicksal und deine Sachen auf den großen Tafelberg am Rand der Stadt, gegenüber von deinem halben Haus. Hege die Hoffnung, dass irgendwann ein Junge darin herumstöbert, eine zersprungene Linse aus der öligen Erde zieht und hindurchschaut. Und was er dann sieht, durch den Dreck und den Riss der Zeit, ja, das ist die große Frage. Vielleicht sieht er dich inmitten der anderen.
    Im Erzgebirge ist das Wasser hart, im Elbsandsteingebirge ist das Wasser weich. In Auschwitz wurde man vergast, in Bautzen wird man nicht vergast. Im Knast erleben nicht alle das Gleiche.
    Vom Untersuchungsorgan wurde mir aus meinen Effekten 1   Schachtel Zigaretten Marke » CLUB «, Inhalt 6   Zigaretten, ausgehändigt. Frank Friedrich.
    Erkennen Sie diesen Stempelkasten wieder? – Ja. – Dieser Stempelkasten, Typ Famos Nummer 524, wurde in Ihrer ehelichen Wohnung sichergestellt. Ist das der Stempelkasten, dem Sie die Gummistempeltypen für das Druckwerkzeug entnahmen, mit deren Hilfe Sie die Zettel, beginnend mit Frieden schaffen – Reisen machen, bedruckten? – Ja. – Woran erkennen Sie, dass es sich um eben diesen Stempelkasten handelt? – An den Aufdrucken. – Sie meinen die mehrmalige Druckaufschrift an der Pappinnenseite des Deckels, die da lautet: JAKOB FRIEDRICH 7030 LEIPZIG REGENSTR . 27 sowie JAKOB FRIEDRICH 1b? – Ja.
    Wenn das Eis eines zugefrorenen Sees springt, klingt es, als würde die Sehne eines riesigen Bogens reißen. Der Hall ist kosmisch.
    Aus einem kleinen Fehler kann man stets einen ungeheuerlich großen machen, wenn man auf ihm beharrt, wenn man ihn tief begründet, wenn man ihn zu Ende führt, Lenin.
    Auf den Gängen sieht man die Mithäftlinge nicht. Bernd, Klaus und Annemarie bleiben nur Klopfzeichen. Vor jeder Gittertür gibt es Stoppstriche, mit dem Gesicht zur Wand muss man warten, bis das Gitter aufgeschlossen ist. Es gibt Ampeln, die rot aufleuchten, wenn andere Paare sich nähern, Gesicht zur Wand. Es gibt Spiegel und Kameras, die FK 2010 von RFT . Wenn du aufmuckst, muss bloß der Alarmdraht gezogen werden, der auf Hüfthöhe die Wand entlangläuft. Euer Knast ist gesichert wie die Grenze, sagst du. – Besser, sagt der Vernehmer, Sie haben doch den Vergleich. – Ihr behauptet immer, die Grenze stehe da zum Schutz vor den Imperialisten. Aber der Stacheldraht oben weist nach Osten, ist gegen die eigenen Leute gerichtet. Man muss das einmal gesehen haben, dann hat man es verstanden. – Womit Sie zugeben, an der Grenze gewesen zu sein. Der Lichtraum, die Treppen und die Geländer sind mit Stahlnetzen und Gittern abgeschirmt wegen Leuten wie Krüger und Pfeiffer.
    Mit dem Charakter verhält es sich wie mit einem Reisepass: Beides zeigt sich an der Grenze.
    Happy Birthday und auf ein Wort, Teddy, als Sohn und Führer deiner Klasse. So, Teddy, kann’s doch nicht gehen. Was ist denn aus dem Völkerfrieden geworden? Und dass die Internationale das Menschenrecht erkämpft, das haben deine Kumpels hier längst vergessen, Teddy. Die haben dich im S-tich gelassen. Dabei hat’s der Karl doch auch vom Balkon des Berliner Schlosses gerufen, dass in der neuen Welt freie, frohe und friedliche Menschen leben werden, war doch auch in dem DEFA -Schinken zu deiner Verherrlichung zu sehen, den sich schon die Schulkinder anschauen mussten. Aber so isses nich gekommen, Teddy. Dat geht den Leuten hier bannig gegen den S-trich. Mog man klar Schipp, Teddy, an deinem Geburtstag.
    Vom Untersuchungsorgan

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