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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Zwohunderteins, Marianne Zwohundertdrei, du bist dazwischen, die Zwohundertzwo. Du bist ihr Kind, Engelchen, Bengelchen: flieg. Aber Klaus’ und Annemaries Kind heißt Ramona. Im Alphabet der Ungnade ergeben acht, fünf, neun und dreizehn Klopfer das Wort Heim. Das Buchstabenende ist eine kleine, das Wortende eine längere Pause, die Faust setzt den Punkt, so geht Telefonieren. Manche Nacht wird geschnattert, morgens fast nie, aber nachmittags wieder. Die Morgenverzweiflung, die Nachmittagsverzweiflung und die Nachtverzweiflung unterscheiden sich. Häufig verwendete Worte: Frau, Anwalt, Mann, Sprecher, Westen, frei, Sohn, Mutter, Schweine, Bautzen, Tochter, Vogel. Wenn niemand telefoniert, ist es auch nicht ruhig. Die Reifen des Essenwagens quietschen, die Luken klappen, Tauben gurren, ein Schließer latscht, der andere stampft, ein dritter knallt die Hacken auf den Boden. Riegel gehen, Türen kreischen, und wenn ein Schließer einen Strafgefangenen über den Flur führt, rasselt er mit den Schlüsseln. Nachts und tags sind Schreie zu hören, viehische Schreie. Wer schreit?, erkundigt sich jemand klopfend. Krueger, antwortet einer. Hurensoehne, perverse Schweine, klopfen die anderen. Danke fuer Komplimente, kommt es zurück: Der Feind hört mit. Lange ist es schockstill. Dann ruft einer ins Rund: D-U-R-C-H-H-A-L-T-E-N-! Nach dem Hörsturz geht Telefonieren nicht mehr.
    Oft bist du an dem altehrwürdigen Gebäude vorbeigefahren. Nie hat es sich etwas anmerken lassen.
    Zur Begrüßung steht der Gastgeber nicht auf, diese Art von Gastfreundschaft ist das also. Immerhin nickt er. Vor ihm liegen saharafarbene Aktenhefter, auf einem liest du: OV Hecht. Rechts auf einem Beistelltisch sitzt die schnippische Olympia. Der Gastgeber kommt ganz gut mit ihr zurecht, er verwendet kein Adlersuchsystem, sondern vier bis sechs Finger zum Tippen. Eine Brille trägt er nicht. Rechts von dir ist links von ihm. Rechts von ihm stehen ein Tonbandgerät und ein graues Telefon auf dem Tisch, rechts hinter ihm gibt es einen Panzerschrank, auf dem ein dreiarmiger Kerzenleuchter und ein Kaktus stehen, sonderbarer Altar. Man sagt, die Flammen essen den Rauch. Es gibt noch einen mit Fotoholz furnierten Schrank zu seiner Linken, und Ernst Thälmann schaut ihm über die Schulter. Auf der Tapete blühen tausend blasse Flieder, die Gardine ist ein grüner Schilfgürtel. Ein monumentaler Kristallaschenbecher wartet an der Tischkante. Wer legt eigentlich fest, welche Ikone in verschossenen ORWO -Farben oder im DEFA-Stil an die Wand gehängt wird? Ob der frühere Strafgefangene Erich Honecker, Kapo in Brandenburg, oder Rosa Luxemburg, die in der Zelle schreiben und lesen durfte, oder Wladimir Iljitsch Lenin, der sich während der U-Haft ein Studierzimmer einrichtete, oder der KZ -Häftling Thälmann, der nach elf Jahren Einzelhaft in Buchenwald erschossen wurde? Vielleicht liegt es beim Gastgeber, vielleicht beim Zufall. Der Gastgeber ist ein Optimist, er trägt Sandalen. Er ist verheiratet. Groß scheint er nicht zu sein, er sitzt aufrecht, hat zarte Hände und schenkt sich Fencheltee nach, die Etiketten hängen aus der Thermoskanne. Er drückt das Katzenauge und holt aus seiner Aktentasche zwei Schachteln Risaer und fünf Packungen Cabinet. Wenn die aufgeraucht sind, sind wir fertig. Für heute. Ich weiß, es ist nicht Ihre Marke. Ich leg Ihnen trotzdem mal drei hierhin. Rauchen hilft dem Erzählen auf die Sprünge. Du darfst die Zündhölzer abbrennen und zu Figuren auf deinem eigenen Tisch legen, so erschaffst du einen Pfau, einen Porsche und den Eiffelturm. Dein Tisch ist ein paar Zentimeter niedriger als der Tisch des Vernehmers. Der Aschenbecher füllt sich mit Cabinet-Asche. Pappeln aus Rauch wachsen schnell in die Höhe, Buddelschiffe kreuzen, bevor sie vom Kerzenstrudel verschluckt werden. Wissen Sie, wo Sie hier sind? – Im Knast. – In was für einem Knast? – Gestapo. – Sie haben keine besonders hohe Meinung von uns. – Nee. – Wir kommen ohne Ihre Wertschätzung klar. – Warum haben Sie keinen ordentlichen Beruf erlernt? – Nun sagen Sie nicht, dass Nussknacker kein ordentlicher Beruf ist. – Wieso glauben Sie, dass ich eine harte Nuss bin? – Ich habe Ihre Frau kennengelernt. Spaß beiseite, und wir stellen hier die Fragen. Fangen wir mit der Feststellung der Personalien an. – Die kennen Sie doch längst. – Name? Die Tür ist braun gepolstert, wie im Grandhotel von Sandau. Als alle Päckchen aufgeraucht sind,

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