Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Wie lieb von dir, dass du mir eine Wärmflasche machst, kommt es aus dem Blasebalg. In meinem Bauch rumort es, zu viel von der guten Graupensuppe, es tut mir leid, mein Junge. In der Küche verbrühst du dich beim Befüllen der Wärmflasche, der Kuckuck ruft. Wie ein Feuertuch klebt das Nachthemd an deinem Bauch und deinem Zinnsoldaten. Das heiße Hemd vom Leib zupfend und leise fluchend, gehst du, die Wärmflasche unterm Arm, den Flur entlang. Friederike steckt den Kopf aus ihrer Tür: Wo bleibste denn? – Dein alter Herr passt auf wie ein Schießhund. Ich hab ihm eine Wärmflasche machen müssen. – Warum stehst du denn so komisch da? – Ach, nichts. – Hast du eingepullert? – Friederike! – Schon gut. Erzähl ihm vom Meer, das macht ihn müde, und dann komm endlich. Also erzählst du vom Meer. Ich liebe das Meer, spricht Richard. Wie ein Bötchen in schwerer See fährt die Wärmflasche auf und ab. Der Anblick von Richards Bauch bringt dich dazu, die zwei Walgeschichten zu erzählen, die du kennst, die von Jonas und die von Moby Dick. Richard wird ruhiger, ab und zu furzt er, also erzählst du von Odysseus und Äolus, dem Herrn der Winde, und endlich schläft er ein. Als du zur Tür schleichst, kommst du dir tatsächlich vor wie Odysseus, der sich unter den Schafen des geblendeten Polyphem aus der Höhle stiehlt. Doch Richard ist nicht geblendet. Junge, schnauft er, du bist so unruhig, dass es mir wirklich schwerfällt einzuschlafen. Erzähl mir jetzt von den Bergen. Ich liebe die Berge. Du machst kehrt und erzählst von den Bergen, bis dir die Vögel ins Wort fallen. Dein Zinnsoldat ist verwundet, das Nachthemd klebt, nasskalt inzwischen, an deinem Unterleib, und du sprichst von Heidi und dem Ziegenpeter. Du ahmst sogar die Krachlaute des Schweizerdeutsch nach. Weil Richard noch immer zur Decke starrt, gehst du zur Legende von Rübezahl über und stattest Rübezahl mit einem böhmischen Akzent aus, immerhin liegt das Riesengebirge zur Hälfte in der Tsche SSR . Du klingst ein bisschen wie Karel Gott, und es scheint zu helfen. Wenigstens schaffst du es bis vor Friederikes Tür. Du öffnest die Tür, die große Standuhr schlägt, und umgeben von heruntergebrannten Kerzen liegt Friederike da, schlafend. Aber das Klosett ist den Flur runter, sagt Richard, der hinter dir aufragt. Als du wieder neben ihm liegst, sagt Richard, dass er zur Abwechslung dir jetzt mal was erzählen würde. Danach schläft er ruhig ein, und du bleibst bis zum Rasseln der Wecker blitzwach neben ihm liegen. Du hast verstanden und dich dann trotzdem von Friederike verspeisen lassen.
Ich bitte folgende Gegenstände aus meinem Auto meiner Ehefrau Eva Friedrich zu übergeben: 1 Taschenknirps (Schirm), 1 Körperspray (8 x 4). Frank Friedrich. Ich bin weg.
Wenn ein Stasi-Knast nicht mit einem KZ zu vergleichen ist und eine Strafvollzugseinrichtung der DDR nicht mit einem Gulag der UDSSR , dann ist folglich die Angst eines Stasi-Strafgefangenen auch nicht mit der Angst eines KZ - oder Gulag-Insassen zu vergleichen, nicht wahr. Zehnjahres- oder Lebenslänglichangst ist nicht gleich Todesangst, oder. Auch bei der Folter, auch bei den Menschenversuchen gibt es Abstufungen, Dunkelhaft ist nicht gleich Wasserfolter, ein deutscher Wissenschaftler müsste das mal genau scheiden und auswerten. Vermutlich ist es längst geschehen im Zuständigkeitsbereich der Jurisprudenz, die eine Geisteswissenschaft ist. Ebenso wenig sind die verübten Kriegsverbrechen mit den erlittenen zu vergleichen, es kann immer nur ein Leid neben dem anderen stehen, eine reichsdeutsche Vergewaltigung neben einer sowjetischen, zum Beispiel. Ein deutscher Arzt oder Psychologe müsste ein für alle Mal etwas Abschließendes über den Wahnsinn des Vergleichens sagen.
Lügner darf man belügen, Frank Friedrich.
Wir müssen irgendwas machen, sagt Pfeiffer, ich kann nicht länger warten, ich dreh sonst durch, Flugblätter. Der Text muss ein Knaller werden. Da muss alles drinstehen, die ganze Scheiße, was uns ankotzt, aber gut gesagt. Wer das liest, muss sofort betroffen sein. So wie in Polen, da haben sie neulich auch eine Flugblattaktion gemacht. – Ich will aber keine Revolution anzetteln, sagst du. Flugblätter, ok, aber kein Krawall. Was ist mit Schwerter zu Pflugscharen? – Janein, sagt Pfeiffer, das ist mir zu weich. – Im Deutschlandfunk haben sie berichtet, dass in Dresden und Jena mit dieser Losung demonstriert wurde, und alle sind verhaftet
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