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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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erhielt ich am heutigen Tag 2 P. Zigaretten Marke »Juwel 72«, zu 2,50 M je P. Die Kosten (5,– M) für die Zigaretten gehen zu Lasten meines Kontos in der UHA und sind dem Untersuchungsorgan zu übergeben. Frank Friedrich. Ich bin weg.
    Den Lebenslauf schreibt man nicht im Verwahr-, sondern im Schreibraum. Die Blätter sind abgezählt: fünf Blatt DIN A4. Daneben liegen zwei Kugelschreiber. Zur Not kann das Leben auf die kleinkarierten Rückseiten verlegt werden. Die Szymborska sagt: Ungeachtet der Länge des Lebens hat der Lebenslauf kurz zu sein. Die Landschaften sind durch Anschriften zu ersetzen. Von allen Lieben genügt die eheliche, nur die geborenen Kinder zählen. Schreibe, als hättest du niemals mit dir gesprochen und dich von Weitem gemieden.
    Ich heiße Frank Friedrich. Ich bin weg.
    Viele sind an der Graupenprüfung gescheitert, aber du bittest um Nachschlag. Drei Teller isst du von Richards infernalischer Graupensuppe, ohne mit der Wimper zu zucken. Friederike bleibt der Mund offen stehen, ja, du willst sie wirklich. Richard sagt zum Abschied, beim nächsten Mal darfst du übernachten. Erna blickt sauer wie die Suppe, den Mund graupenhaft verkniffen. Und das soll alles gewesen sein, fragst du Friederike, das soll der einäugige, sich von Freiersfüßen ernährende Riese Richard gewesen sein? Noch weißt du nicht, dass Richard keine Einladung ausgesprochen, sondern die zweite Prüfung anberaumt hat.
    Sie hat patente Hände, schlank und doch tüchtig. Die Fingernägel sind kurz geschnitten und nicht lackiert. Diese Hände können gut nähen, Zöpfe flechten, ein Pflaster aufkleben, Tränen trocknen und streicheln. An einem Finger steckt ein schmaler Ring. Wenn man zwei breite 585er-Ringe einschmelzen lässt, erhält man zwei schmale 750er. Ein Graveur kann Name, Datum, Reinheitsgrad einritzen.
    Wer zu Unrecht eingesperrt wird, der ist noch lange nicht im Recht.
    Nach Aussage des Beschuldigten Pfeiffer, Rüdiger haben Sie verlautbaren lassen, dass Sie auf die DDR  – Zitat – scheißen. Äußern Sie sich in diesem Zusammenhang zu den Ihnen vorgelegten verunreinigten Zeitungsseiten aus dem Neuen Deutschland vom 27. 07. 1981. – Ich kenne diese Seiten nicht. – Nach Aussage des Beschuldigten Pfeiffer, Rüdiger haben Sie das Passbild Ihrer ersten Frau aus deren Reisepass entfernt, um ein Bild Ihrer jetzigen Frau hineinzukleben, die laut vorgenanntem Beschuldigten Ihrer ersten Frau ähnlich sieht. – Das ist absurd, Friederike war brünett. – Nach Aussage des Beschuldigten Pfeiffer, Rüdiger sind Sie der Anstifter und Rädelsführer der Zettelaktion gewesen. – Nein, wir haben uns das zusammen ausgedacht. Und ich glaube Ihnen Ihre Lügen nicht. Zeigen Sie mir die schriftlichen und unterschriebenen Aussagen von Rüdiger Pfeiffer. – Nach Aussage des Beschuldigten Pfeiffer, Rüdiger waren Ihre Ehefrauen in Ihre Pläne eingeweiht.
    Am 17. 6. 1946 wurde ich als Sohn der Eheleute Frau Polina Friedrich, geborene Sauer, und Herrn Horst Friedrich in Guben, Pestalozzistr., geboren. Ich war zweitgeborener Sohn und wurde auf den Namen Frank getauft. Mein Vater fiel im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront und galt als vermisst. Wir, mein älterer Bruder Rudolf, geboren 1944, meine Mutter und ich, zogen nach meiner Geburt nach Leipzig und wohnten anfangs in der Kanzlerstr. Meine Mutter lernte den Lokführer Paul Winter kennen, den sie 1948 ehelichte. Im März 1950 wurde mein Halbbruder Siegmar Winter geboren. Zur damaligen Zeit war mein Stiefvater Alleinverdiener, und meine Mutter besorgte den Haushalt. Es ist mir nicht erinnerlich, daß wir unserem Stiefvater mit besonderer Zuneigung begegneten. Für uns war die Mutter unser zentraler Anlaufpunkt, wo wir Geborgenheit und Liebe entgegennehmen konnten.
    Nach einem weiteren köstlichen Graupenmahl darfst du bei den Reinhardts übernachten. Und zwar neben Richard. Wenn er eingeschlafen ist, dann schleichst du einfach zu mir, flüstert Friederike dir zu. Ich finde übrigens, flüstert sie weiter, dass dir Vaters Nachthemd ausgezeichnet steht. Ich will wissen, was darunter ist. Sehnlich. – Schlafe gut, mein Junge, sagt Richard, der die Hände wie zum Gebet über seinem großen Bauch gefaltet hat. Als sich dieser Bauch gleichmäßig im Mondenschein hebt und senkt, schlägst du das schwere Federbett behutsam auf. Zwei Wecker ticketacken. Dem großen Blasebalg entweicht Richards Graupenatem, also setzt du ein Bein auf den Boden und das zweite hinterher.

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