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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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ruft der Gastgeber einen Pagen.
    Zuerst glaubst du, deine neue Frau mit deiner ersten Frau zu betrügen, dann glaubst du, deine erste Frau mit deiner neuen Frau zu betrügen, dann glaubst du, deine Mutter mit deiner neuen Frau zu betrügen, so wie du sie mit deiner ersten Frau betrogen hast, und schließlich gelangst du zu der Überzeugung, von deiner ersten und deiner neuen Frau betrogen worden zu sein. Nur deine Mutter war immer aufrichtig zu dir.
    Man bestimmt hier nicht über das Licht. Die Schalter befinden sich nicht in der Zelle, sondern auf dem Gang. Manchmal knipsen sie das Deckenlicht aus, oft lassen sie es die ganze lange Nacht flackern, oder sie schalten nur das kleine Licht über der grauen Stahltür ein, wenn sie alle halbe Stunde einen Kontrollblick durch das Guckloch werfen, den Spion. Ordnungsgemäß schläft man, wenn man auf dem Rücken liegt und die Hände auf der Decke lässt. Aber man schläft nicht. Bei nächtlichem Aufschluss springt ein Taschenlampenlicht durch die Zelle, weil man doch nicht ordnungsgemäß auf der Pritsche liegt, sondern seitlich, das Gesicht zur Wand, die Hände zwischen die Knie geklemmt. Der Brennpunkt liegt auf der Schläfe, rutscht zur Stirn und weg, dann zappelt das Deckenlicht an und brennt nervös bis zum Morgengrauen. Das Tageslicht wird von Glasziegeln gefiltert, man merkt, wann die Sonne scheint, aber die Sonne wird Matsch, Sonnenauf- und Sonnenuntergänge werden Matsch, Frühling und Sommer werden Matsch, das kurze oder lange Licht eines Tages wird püriert und einem vor die Füße geklatscht, hier auf den PVC , als habe es der Feldwebel aus der Gulaschkanone geschöpft. Auch du seist ein kleines Licht.
    In der UdSSR gibt es die Stadt Marx, auf der anderen Flussseite liegt die Stadt Engels, wie heißt die Brücke, die beide Städte miteinander verbindet? Richtig, Leninbrücke.
    Die Unterschrift ist eine massiv abgewertete Währung, aber es ist die einzige, die du zum Heimzahlen hast, indem du sie verweigerst. Der Beschuldigte hat eben NICHT eingeräumt, dass seine Ehefrau in die Pläne eingeweiht war. – Wie Sie wollen, dann unterschreibe nur ich. Dieses angebliche Ich zäunt seine Unterschrift ein. Der Klassenbeste will verhindern, dass gespickt wird, dass Namensraub begangen wird, dabei ist seine Unterschrift so wertlos wie ein Aluminiumchip der Staatsbank der DDR. Die 50-Pfennig-Münze hat einen geriffelten Rand.
    Ich bitte mir die Möglichkeit zu geben, den Rechtsanwalt Dr.   VOGEL in Berlin mit meiner Verteidigung zu beauftragen. Ich bin weg.
    Über das Liegen, das Sitzen und das Gehen bestimmt man auch nicht. Am Tag muss die Schlafpritsche an die Wand geklappt werden, man darf nicht einmal den Steiß gegen die Kante drücken, Anlehnen ist untersagt. Wenn das Essen durch die Luke gereicht wird, darf man Tisch- und Sitzfläche heraufklappen. Nachdem man Schüssel und Becher zurückgegeben hat, muss man die Holzscheiben wieder an die Wand kippen. Es sind Sitz- und Stützgelegenheiten. Wenn man muss, dann muss man sich auf das Klosett mit Wasserspülung setzen, das direkt neben der Tür montiert ist. Das Wort Intimsphäre wird hier ebenso häufig benutzt wie weiches Klopapier. Bis in die Nacht muss man beim Vernehmer sitzen, auf einem miserabel gepolsterten Stuhl, in den Stoff sind Rosen gewebt. Da sehnt man sich schon wieder nach dem unnatürlich langen Stehen am Nachmittag in der Zelle, wobei man sich während des Stehens in der Zelle nach dem Sitzen beim Vernehmer sehnt. Irgendwas tut immer weh, die Füße oder der Hintern. Wenn der Vernehmer wutentbrannt den Raum verlässt, er ist wirklich nicht groß, kann man kurz aufstehen und sich die Beine vertreten. Die Beine kann man sich auch beim Freigang im sogenannten Tigerkäfig vertreten oder wenn man über einen der langen Flure geführt wird, treppauf, treppab, hin zum Vernehmer. Gehen kann man in der Zelle, hin und her, aber nur mit kleinen Schritten. Die kleinsten Schritte macht man beim Tipptopp, beim Schuhorakel, aber das hier ist kein Mannschaftssport, das ist eine Solonummer. Bitten sind in Pawlows Namen vorzubringen: Möge die Simulation des Gehens irgendwie den Bewegungsdrang sättigen. Alles Kopfsache. Aber das Liegen, das Sitzen und das Gehen sind hier so unnatürlich bemessen, dass es dem Kopf schwerfällt, den Körper zu überlisten. Der Körper weiß, was eine würdige Raumzeitverfügbarkeit ist. Er weiß es einfach. Damit ist alles über dieses würdelose Land gesagt.
    Arbeitslose gibt’s

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